Okt 162018
 

»Konrad Wolf – Alle Spielfilme 1955–1980«

Dass die Arbeit großer Regisseure in einer Gesamtausgabe festgehalten wird, passiert überraschend selten. Dabei wäre es gerade hier nötig, denn der gezeigte Film verschwindet viel leichter als das gedruckte Buch. Manche Filme Konrad Wolfs wurden nie wieder aufgeführt, einige davon waren bislang selbst auf DVD nicht erhältlich. Wir sprechen also bei dieser Edition von einer großen Sache, auch weil wir bei Wolf von einem großen Regisseur sprechen.

Es sind ganze 14 Regiearbeiten im Schuber, bereichert durch historische oder retrospektive Interviews, Trailer, Dokumentationen, Aufnahmen zum Szenenbild usw. Das Booklet enthält zwei instruktive Essays, man vermisst aber ein paar technische Angaben (zum Verfahren der Nachbearbeitung etwa) und eine Werkchronik.

Die Edition schafft Gelegenheit, Wolfs künstlerische und ideelle Entwicklung im Zuge nachzuvollziehen. Dabei schlägt in beiden Spuren die für ihn typische Arbeitshaltung durch, das Kühne auf bescheidene, fast konservative Weise in die Welt zu bringen. Da ist Großes ohne Seht-her-Geste, und eine Ruhe, die was setzt. Die Stille, die in seinen Filmen zwischen den Dialogen herrscht, die stets bloß punktuellen Soundeffekte, der sparsame Einsatz von Musik, die dadurch nie manipulativ wirkt, entspricht Wolfs Verhalten am Set: dem schweigenden Regisseur, der dem Schauspiel Raum ließ. Intensiver war die visuelle Arbeit, aber auch sie kein Selbstzweck. Das lange Festhalten an Schwarzweiß und dem schmalen Format (erst spät steigt Wolf auf Farbe und 2,35:1 um), die versierte Kameraarbeit, der gezielte Einsatz intellektueller Montage sind nie bloß spielerisch, doch auch nicht so plakativ, dass ihre Intention nicht noch erarbeitet werden müsste.

Diese Intention war in ästhetischer und erzählerischer Hinsicht oft feingliedrig, aber stets auf den Begriff zu bringen. Kaum trennbar verschränken sich bei Wolf Vergangenheit und Gegenwart. Die im Sozialismus angelegte Humanität und die Zuversicht, sie voll zu entfalten, kommen in den Filmen zum Ausdruck, aber die neue Gesellschaft markierte keinen Kaltstart. Sie geht aus der geschichtlichen Belastung unmittelbar hervor. Noch im »Nackten Mann« (1974) spielt die Erinnerung an Babi Yar eine große Rolle. Immer wieder kollidieren das eingetrübte Bewusstsein und das zuversichtliche, trifft antifaschistische Wachsamkeit auf sozialistischen Hedonismus. Von dieser Unentschiedenheit lebt das gesamte Werk.

Natürlich war das Verhältnis nicht statisch. Vielmehr lässt sich die Entwicklung des DDR-Bewusstseins an der Chronologie der 14 Filme recht gut rekapitulieren. Wolfs Debüt, »Einmal ist keinmal« (1955) scheint eine für ihn eher untypische Arbeit. Nie wieder hat er eine echte Komödie gemacht, aber der Film enthält in der Figur des Komponisten Weselin, der sich weigert, U-Kunst zu machen, bereits den erwähnten Widerspruch zwischen Hedonismus und politischem Ernst, der ja gleichfalls typisch für das Selbstverständnis der aus dem Kampf geborenen sozialistischen Gesellschaft war. Wolfs zweiter Film »Genesung« (1956) erzählt die Geschichte eines Mannes, der im Konflikt zwischen Wahrheit und dem Vorsatz, das Gute zu tun, feststeckt. Das versöhnliche Ende killt den realistischen Anspruch, bringt aber wenigstens den Optimismus der Aufbruchszeit authentisch zum Ausdruck. Im selben Jahr entsteht »Lissy«, worin das Erstarken des Nationalsozialismus behandelt und gezeigt wird, dass bloßes Unbehagen am Kapitalismus noch keine fortschrittliche Haltung machen muss. Mit »Sonnensucher« (1958) legt Wolf ein Jahr vor der Bitterfelder Konferenz ein Produktionsstück vor. Auch hier spielt die Belastung durch die Nazi-Vergangenheit mit, zugleich erscheint die sozialistische Gesellschaft erstmals als Spektrum, dessen innere Konflikte nicht klar entscheidbar sind, sondern selbst Bedeutung haben. Ein Jahr später folgt »Sterne«, das, meisterhaft inszeniert, viel weniger breit ist und eine klare Botschaft äußert: Die jüdische Lehre aus dem Vernichtungswüten der Nazis kann nur lauten – Nie wieder wehrlos.

»Leute mit Flügeln« (1960) scheint vergleichsweise schwach, weil hier das persönliche Thema Wolfs, die Entfremdung von der eigenen Kultur durch Exil, im parabelhaften Verhältnis von Vater und Sohn bloß angedeutet bleibt. Wolfs Adaption des »Professor Mamlock« (1961) setzt dem Original wenig hinzu, und es beschreibt genau den Untergang der bürgerlichen Mitte: Die Rede vom »rotem und braunen Terror« macht blind für den Unterschied von Enteignung und Vernichtung.

In »Der geteilte Himmel« (1964) scheint erstmals der Pessimismus Oberwasser zu erhalten. Aber nicht ohne Widerstand: »Ihrer Resignation fehlt der Zorn«, schlägt es dem selbstgerechten Manfred Herrfurth entgegen, das heißt: Er resigniert nicht, weil er muss, sondern weil er will. Während in »Lissy« und »Professor Mamlock« Irrationalität und Faschismus identifiziert wurden, scheint in »Der kleine Prinz« (1966) eine romantische Wende angedeutet; es ist die Zeit, da in der DDR die Lust an Subjektfragen allgemein steigt, und wie so oft folgt auf eine Einseitigkeit bloß die nächste, auf den naiven Objektivismus der Rückzug in irrationale Innerlichkeit. Bei Wolf bleibt das Verhältnis vorerst in der Schwebe, wenn zwei Jahre später in »Ich war neunzehn« (1968) der sowjetische Offizier sagt: »Ich verstehe Ihre Gefühle, aber mit Gefühlen kann man keine Politik machen.« Es lässt sich wohl sagen, dass in diesem Film alles, was Konrad Wolf bewegte und konnte, aufgegangen ist.

Die vier folgenden Filme machen auch deswegen den Eindruck von Rückzugsgefechten, wobei in »Goya« (1971) die politische Unzufriedenheit mit den Zuständen der DDR in plebejischer Unzulänglichkeit einen Ausweg zu sehen meint und »Mama, ich lebe« (1976) wenig Neues mitzuteilen hat, während »Der nackte Mann auf dem Sportplatz« (1974) und »Solo Sunny« (1980) ästhetisch gelungen sind. Hier war der späte Wolf einer neuen Variation auf der Spur: der Stellung des Künstlers im Sozialismus, dem Recht auf Selbstbehauptung und Bedürfnis nach gesellschaftlicher Relevanz. Nur liegt auch in darin das Motiv der Rücknahme, indem Wolfs letzter Film »Solo Sunny«, nicht so hoch greift wie »Der nackte Mann« und, weniger souverän, vor allem die Unsicherheit seiner Heldin vermittelt. Die verhaltene Resignation ist hier offener Privatismus geworden, und das Sujet regrediert in die Jugendkultur. So schließt die Werkgeschichte des Konrad Wolf mit einer eigenartigen Klammer: Sein erster Film hatte von einem westdeutschen Musiker gehandelt, der sich weigert, Schlager zu komponieren. Der letzte Film erzählt die Geschichte einer ostdeutschen Sängerin, deren Ziel bloß noch ist, im Schlager erfolgreich zu sein.

Konrad Wolf: Alle Spielfilme 1955 – 1980
14 DVDs in der Box, mit umfangreichen Bonusmaterial
Gesamtlaufzeit: 1405 Minuten
ICESTORM Entertainment GmbH, Berlin 2018
DVD-Start: 12. Oktober 2018

in: junge Welt v. 16. Oktober 2018.

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