Nov 222018
 

»Der Dolmetscher«

Der pensionierte Dolmetscher Ali Ungár (Jiří Menzel) reist von Bratislava nach Wien, um dort den früheren SS-Offizier Kurt Graubner aufzusuchen, der während der Shoa seine Familie ermordet hat. Er führt eine Waffe bei sich, spielt also wenigstens mit dem Gedanken, Graubner zu erschießen. In der Wohnung trifft er dessen Sohn Georg (Peter Simonischek), der mitteilt, dass sein Vater verstorben sei. Nach einiger Irritation machen sich die Herren auf den Weg in die Slowakei, um die Vergangenheit zu erforschen. Georg engagiert Ali als Dolmetscher, und die Reise in die Ferne wird zur Reise ins Innere.

Bei Filmen, die sich der Bewältigung des Nazi-Erbes stellen, tritt die Ermüdung schon vor der ersten Szene ein. Das Thema ist in den letzten Jahrzehnten ausgiebig behandelt worden, und tatsächlich macht »Der Dolmetscher« vom Inhaltsaufriss her nicht den Eindruck eines besonderen Films. Wenn man verstehen will, warum er der slowakische Kandidat für den Academy Award wurde, muss man ihn gesehen haben. Dann erst gerät, was sich als simples Road-Movie liest, zum Kunstwerk, dessen Inszenierung genau trifft, wohin sie soll.

Naturgemäß liegt der Schwerpunkt des Films auf den Dialogen, wobei der Wechsel von Sentenzen und Pointen, Spannung und Entspannung, den größten Vorzug macht. So finden sich zwischen unprätentiösen Gedanken mit mehr Bums als Grazie auch Fetzen wie: »Ich war mit meiner Frau 52 Jahre zusammen.« »War Ihnen da nicht langweilig?« »Nein, wir haben dauernd gestritten.«

Gleichviel trägt das Schauspiel. Bei Jiří Menzel, der dem deutschen Publikum durch die DEFA-Verfilmung des Grimm-Märchens »Sechse kommen durch die Welt« (1972) wohl kaum noch in Erinnerung ist, stimmt jede Regung, und Peter Simonischek zeigt nach dem Desaster »Toni Erdmann« (2016) wieder, dass er spielen kann, wenn man ihn denn lässt. Die Kamera bewegt sich, per Schnitt oder Fahrt, wie forschend um ihre Figuren; das Dramatische ist der Star, und nur gelegentlich schiebt sich eine symbolisch gemeinte Einstellung dazwischen. Musik wird ausschließlich in Szenen des Übergangs eingesetzt, vor allem für die Autofahrten, bei denen das behaglich-elegische Thema in Klarinette hörbar macht, wie die gemeinsamen Gespräche allmählich in die Charaktere einsickern.

Da die Filmhandlung wenig anderes zu tun hat, kann die Beziehung zwischen Georg und Ali mehrschichtig und ohne Hektik als Täter-Opfer-Dialektik entwickelt werden. Die Verhältnisse werden fast plakativ verschränkt. Der Sohn des eifernden SS-Manns versteht sich als Hedonist, während der Sohn der jüdischen Familie, die einfach bloß leben wollte, von eiferndem Ernst besessen scheint. Nur ist Ali kein Fanatiker; Menzel spielt einen von Trauer entkräfteten Mann, für den das genaue Wissen um das damalige Geschehen ein letzter Anker ist. Die Problemfigur ist Georg. Er, nicht Ali, macht die Entwicklung durch, indem er erkennen muss, dass es nicht reicht, die Nazi-Vergangenheit im Laissez-faire aufzuheben; man muss sie bewusst negieren.

Wenn Georg sagt, dass doch nicht er die Verbrechen seines Vaters begangen habe, ist das logisch dicht, blendet aber aus, dass in jedem Kind die Eltern – durch Erziehung und Vorbild –enthalten sind. Verantwortlichkeit muss nicht von außen hergestellt werden, der Betroffene selbst stellt sie immer schon her. Hier arbeitet der Film beharrlich mit den Bildern gegen die Worte. In Georgs Augen erkennen wir mehr als in dem, was er sagt. Wenn er Photos und Filme mit Zeugenaussagen besichtigt, zerfallen alle Abwehrmechanismen, und sein flegelhaftes Auftreten, das verborgenen Antisemitismus andeutete, erstickt in Scham.

Die Spuren des Vaters im Sohn sind deutlich. Georgs erste Reaktion etwa darauf, dass der Sohn der ermordeten Juden ihn mit der Schuld des Vaters konfrontiert, war die Frage: »Wollen Sie Geld?« Später nannte er Ali, von ihm provoziert, einen »zionistischen Herrenmenschen« und fand nichts dabei, eine junge Frau mit ins Auto zu lassen, die eine Kufiya, das internationale Symbol der Judenverachtung, trägt. Als er Alis Tochter fragt: »Sie denken, der Sohn eines Mörders ist besser dran als der Sohn eines Opfers?«, bringt die ihn in verlegenes Schweigen: »Ich habe die Hälfte meiner Familie im Konzentrationslager verloren, und falls sie zurückkamen, behandelten unsere Nachbarn sie wie Kriminelle. Und diese Angst, dass sich das alles wiederholen kann, das kennen Sie doch nicht.« In solchen Momenten sabotiert der Film mit gutem Grund die eigene Konstruktion, denn die evoziert, für sich, zu sehr die Spiegelung und Rechtsgleichheit beider Hauptfiguren. Er bringt sich, wenn man so will, unter Wehen selbst hervor und wird erst im Finale zu einem Ganzen: in einer Sequenz, bei der es auf die überraschende Wendung gar nicht so sehr ankommt wie auf die Bedeutung, die in Georgs letzter Handlung liegt.

»Der Dolmetscher« [»The Interpreter«]
Slowakei, Tschechien, Österreich 2018
Regie: Martin Šulík
Drehbuch: Marek Leščák, Martin Šulík
Darsteller: Peter Simonischek, Jiří Menzel
Länge: 113 Minuten
Starttermin: 22. November 2018

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in: ND v. 22. November 2018.

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