Mrz 202019
 

»Der junge Hacks«

Die beharrliche Ungnade, mit der Peter Hacks das eigene Frühwerk beiseiteließ, ist ein Glücksfall dieser Edition. Gerade weil kaum einer der zwischen 1945 und 1955 entstandenen Texte in die 2003 besorgte Ausgabe letzter Hand gelangt ist, lässt sich das frühe Werk vom Rest derart sauber scheiden. 500 Gedichte, 37 dramatische Texte, 18 Hörspiele, 24 Stücke für den Kinderfunk, dutzende Studien, Essays, Feuilletons und Rezensionen, mehrere hundert Briefe und biographische Dokumente erscheinen jetzt als nie oder nie wieder gedruckte.

Wenig überraschend liegen da neben geschliffenen und rohen Diamanten auch einige Brocken Speckstein. Manches riecht so streng nach Schülerzeitung, dass es ungewollt komisch wird, wenn es dann noch einen Titel wie »Abschreckendes Beispiel« trägt. Es ist nicht das Fehlen von Schön- und Schlauheiten, woran ein Jugendwerk kenntlich wird, sondern der mangelnde Sinn für Maß, Tempo und Komposition, der erst durch Lebens- und Schreiberfahrung ausgebildet werden kann. Während die Hörfunkarbeiten sich genrebedingt einem anderen Medium unterstellen und das poetische Bedürfnis vom Beginn weg entmutigen, wird die Differenz in der lyrischen Produktion am deutlichsten, wo es kästnert und nach Heine klingt. Was letzteren betrifft, nicht nur im Ton, der da auf Frühhalde liegt und jetzt vom Roste befreit geborgen werden kann, sondern auch in der vorsätzlichen Nachlässigkeit bei Reim und Metrum. Dass die formale Strenge des reifen Hacks hier und dort noch fehlt, hat weniger mit dessen ambivalenter Neigung zur U-Kunst zu tun; die lässt sich ja als Protostufe der späteren Klassizität verstehen. Folgenreich scheint mir vielmehr, dass der junge Hacks beim Dichten die Musik beständig im Hinterkopf hatte. Tucholsky bemerkte einmal (in seiner Rezension der Brechtschen »Hauspostille«), ein Zeichen guter Lyrik sei, dass sie sich schwer vertonen lasse. Metrum und Melodie folgen verschiedenen Mustern.

Ein anderes Element, das sich auch in den dramatischen Arbeiten zeigt, ist die Dominanz von Ironie, Parodie und Satire, auch der ironisierten Ironie, die mit der Unklarheit spielt, ob nicht vielleicht doch ernstgemeint sei, was im ironischen Ton vorgetragen wurde. Das mag der jugendlichen Scham geschuldet sein, nicht einfach sagen zu können, was man fühlt und denkt, gleichwohl besorgt es einen Schwung, der den manchmal noch fehlenden Punch im Dramaturgischen ausgleicht.

Die Edition ermöglicht, poetische Motive und Themen, Adaptionsbeziehungen, ästhetische und politische Theorien, deren Entwicklungen innerhalb des späteren Werks gut nachvollziehbar sind, am Ursprung zu beobachten. Formal als auch inhaltlich spannt sich ein weites Feld auf, das retrospektiv als Ergebnis spielender Haltung erscheint. Der junge Hacks probiert sich in viele Richtungen, streckt die Fühler, ob sich was vorfinde, prüft die Böden, ob sich dort stehen lasse. Er ist auf der Suche, doch nicht nach sich selbst. Nach Gefäßen vielmehr, in denen er sich als immer schon merkwürdig fertiger Poet und Denker ausdrücken kann. Man erkennt den Klassiker und Kommunisten bereits in der Haltung, wo er im Inhalt noch gar nicht vorhanden ist. Dennoch können retrospektive Rekonstruktion irreleiten. Das Wissen um das Ende eines Prozesses färbt die Betrachtung seines Anfangs ein, und nicht alles, was passiert ist, musste passieren. Es liegt – Hacksens Columbus sagt das – zwischen Absicht und Verwirklichung mehr als bloß verstreichende Zeit. Hacks bedurfte der gesellschaftlichen Umstände beinah noch mehr als seine Zeitgenossen; die lebten bloß darin, er arbeitete damit. Es ist kaum möglich, ein vernünftiges Verhältnis in der Zeit zu gewinnen, wenn die Wirklichkeit keinen Boden anbietet, auf dem man pflanzen kann. Gerade durch seine Grenzen zeichnet das Frühwerk die Entscheidung zur Übersiedlung in die DDR voraus, wo allererst Hacks mehr tun konnte als sich lediglich in simpler Opposition gegen die Umstände zu gefallen.

Zur Prüfung solcher, entgegengesetzter oder ganz anderer Zugänge – tiefer ins Werk hinein, weit darüber hinaus – gibt die Edition technisch an die Hand, was immer man benötigt. Die behutsame, konsistente Textkritik wird in den editorischen Prinzipien erläutert; der Kommentar ist in sich klar gegliedert (Entstehung, Überlieferung, Erläuterung) und genügt im Detail; das Register entlastet mit Angaben zu Lebensdaten und Funktion die Erläuterungen beträchtlich. Allein die Ordnung des Anhangs (Verzeichnisse, Chronik und Bibliographie) widersetzt sich etwas der Intuition und erschwert zunächst die Orientierung. Weniges aus den ersten zehn Jahren wurde nicht aufgenommen: eine Handvoll Gedichte, die Dissertation zum »Theaterstück des Biedermeier«, »Lobositz«, »Herzog Ernst«, »Der Bär auf dem Försterball« und »Das Windloch«. Diese Texte sind, ausgenommen die Dissertation, in der kanonischen Werkausgabe seit Jahren gut greifbar. Das will wohl was bedeuten: »Der junge Hacks« versteht sich nicht als Konkurrenz, die einen insgeheim schöneren Dichter vorführt. Die Ausgabe sammelt einfach auf, was bei der Kanonisierung von der Schippe gefallen ist, und ordnet sich damit naturgemäß unter.

DER JUNGE HACKS
Gedichte, Stücke, Hörspiele, Prosa, Briefe und Lebensdokumente
Hrsg. v. Gunther Nickel
Berlin (Eulenspiegel Verlag) 2018
3.213 S., 5 Bände, gebunden
ISBN 978-3-359-02376-0

in: ND v. 20. März 2019.

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