»Maquia«
Blau ist eine dankbare Farbe. In der Natur scheint sie den fernen und weiten Dingen vorbehalten. Insofern ist das dominante Blau in »Maquia« nicht allein der gefälligen Anschauung wegen, es korrespondiert dem Thema des Films, Geburt und Tod, Vergänglichkeit und Fortleben. Wie typisch für Anime sind die Hintergründe feiner gestaltet als die Figuren, in denen der traditionelle Zeichenstil bewahrt wird. Auf die Art vermittelt das Genre zwischen Effekt und ästhetischer Tradition.
Nein, es ist nicht die Machart und nicht die Idee – die Erzählung selbst kann die Versprechen, die mit ihrem Auftakt gesetzt sind, nicht halten. Denn das Setting ist stark. In einem hochgelegenen, einsamen Ort wohnen die Menschen von Lorph, die ein langes Leben ohne körperlichen Verfall erreichen. Das Leben dreht sich fast vollends um eine physische Tätigkeit, die gleichsam metaphysischen Charakter erhält: Jeder Bewohner webt beständig ein Tuch, wobei der vertikale Kettenfaden für den unveränderlichen Fluss der Zeit steht, während der horizontale Durchschussfaden die Gefühle, Gedanken, Erinnerungen bedeutet, also den Anteil, den der Webende selbst in die Zeit einbringt. Hier lebt Maquia, die vergleichsweise jung ist, als der Ort vom benachbarten Reich angegriffen und zerstört wird. Auf der Flucht findet sie einen Jungen in den Armen seiner toten Mutter. Sie nennt ihn Erial und nimmt sich seiner an. Bei der Bäuerin Mido scheinen die beiden dauerhaft unterzukommen, doch irgendwann werden die Nachbarn bemerken, dass Maquia nicht altert.
Was zunächst als gut erzählter Fish-out-of-water-Plot beginnt, verliert sich bald. Das betrifft die schlecht entfaltete Nebenhandlung um die vom Nachbarreich entführte Leylia ebenso wie die späteren Geschicke Erials. Wiederholt werden Figuren aus dem Spiel genommen, erscheinen und verschwinden erneut. Gewiss pflegt die japanische Erzähltradition nicht jene aristotelische Gebundenheit von Anfang-Mitte-Ende, doch gerade die gelungensten Animationswerke – »Prinzessin Monoke« (1997), »Das Mädchen, das durch die Zeit sprang« (2006) oder »Your Name« (2016) – haben besonders durch dramatische Gebundenheit überzeugt. Was »Maquia« an Bedeutung und Faszination aus seinem Stoff holt, liegt fast immer in der einzelnen Szene, im gesonderten Motiv. Die Erzählung ist folglich oft genötigt, sich selbst zu erklären. Figuren erläutern ihre Beweggründe und Umstände, die sich aus der Szene ergeben sollten.
Gleichwohl hält der Film, auf die Art den Verstand adressierend, das Interesse wach. Und das lohnt sich. Jenes zerstörte Paradies ist Ende und Anfang. Erst Maquias Flucht in das Leben da draußen besorgt die Kollision mit den Problemen des Menschseins. Der Übergang in die wirkliche Welt kann als Bild fürs Erwachsenwerden verstanden werden, in dem sich der junge Mensch mit der Wirklichkeit in Beziehung setzt, wo Zeit, Altern, Sterben, Liebe und Verlust mit einem Mal eine Rolle spielen. Bindungsliebe muss, nach der Lösung von den Eltern, neu gelernt werden. Sie bedeutet für Maquia immer wieder Verlusterfahrung, da sie die Menschen, die sie lieben könnte, überleben wird. Liebt sie nicht, ist sie bloß allein. Einsam erst, indem sie liebt.
Diesem Komplex setzt der Film die Idee der Familie entgegen. Durch eine perfekt getimte Parallelmontage werden das Kriegsgeschehen einer Schlacht und der Kampf einer Entbindung in Beziehung gesetzt. Im geborenen Kind werden die Eltern sichtbar, sie leben in ihm fort. Den Menschen ist durch die Kinder, die sie in die Welt setzten, eine sekundäre Unsterblichkeit gewährt.
»Maquia – Eine unsterbliche Liebesgeschichte« [»Sayonara no asa ni yakusoku no hana o kazarô«]
Japan 2018
Regie: Mari Okada
Drehbuch: Mari Okada
Darsteller: Manaka Iwami, Miyu Irino, Ai Kayano
Länge: 115 Minuten
Starttermin: nur am 16. und 19. Mai 2019 in 150 deutschen und österreichischen Kinos
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in: ND v. 16. Mai 2019.
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