Mai 092019
 

»Stan & Ollie«

Der Film eröffnet gleich einem Gemälde. Stan Laurel (Steve Coogan) und Oliver Hardy (John C. Reilly) sitzen in der Maske; man sieht sie von hinten, die Stühle halbschräg, so dass ihre Blickrichtungen auf einen Fluchtpunkt zulaufen. Als sei da die Zukunft des Duos an die Wand der engen Garderobe geworfen, wo die bekannten Hüte am Ständer hängen. Sie werden, spricht das Bild, nicht entkommen aus dieser Nummer ihres Lebens, sind, wie später Charters und Caldicott oder Abbott und Costello, nur als Duo interessant. Linker- und rechterhand stehen beider Schminkspiegel, aber so, dass man darin den je anderen sieht. Stan, das ist Ollie, und Ollie, das ist Stan. Die Kamera folgt ihnen auf dem Weg zum Set in einer Plansequenz von genau 4 Minuten, die elegant die Exposition beider Figuren, ihre persönliche und berufliche Situation miterledigt.

Das spielt 1937. Laurel und Hardy sind auf dem Höhepunkt. Sie fordern mehr Geld vom Studio, das sich unnachgiebig zeigt. Keaton und Chaplin verdienen das zehnfache, denn »they own their own pictures«. Dann macht der Film einen Satz ins Jahr 1953; die beiden sind überm Zenit und eben dabei, mit einer Bühnenshow das Publikum zurückzugewinnen.

Dieser Film, der so vieles richtig macht, überzeugt auch mit diesem Griff. Die glückliche Besetzung – Reilly und Coogan spielen, wofür sie geboren scheinen – barg die Gefahr, sich darauf auszuruhen. Aber das Drehbuch nimmt Tempo raus, übertreibt es nicht mit dem Stan-&-Ollie-Einlagen, rückt die Melancholie einer Phase ins Zentrum, worin vom Glanz des Duos nicht viel übrig ist. Im schwindenden Erfolg tritt die Substanz des Künstlers hervor: was zu tun er bereit ist, wie treu er seiner Idee bleibt, worum es ihm eigentlich geht. Gleich dem Muster des weinenden Clowns zeigt jene Traurigkeit des Lebens erst die Heiterkeit der Kunst als Leistung, das Lachen als erarbeitetes.

Immer wieder proben die beiden ihr Spiel im Alltag, auf der Straße, im Auto, an der Hotelrezeption. Ist es kindliche Freude, auch im Privaten Stan & Ollie zu sein, oder die Möglichkeit, eine Art Privatsphäre hinter der Rolle zu wahren, sobald der Auftritt vorbei ist und alle Welt begehrt, den wahren Stan, den wahren Ollie kennenzulernen? Dieser Film ist heiter und traurig, leise und schlau, charmant und so wahr, dass manches daran vielleicht nicht stimmt. Nur, wen interessiert schon, was wirklich geschehen ist, wenn man größeren Fragen nachgehen kann.

Der industrielle Charakter des Filmbetriebs bedingt, dass die Produktionsmittel gegenüber der geistigen Urheberschaft dominieren. Eine allgemeine Missachtung kreativer Arbeit ist die Folge. Laurel wird seiner Renitenz wegen entlassen, Hardy dreht »Zenobia« (1939) mit Harry Langdon (erkennbar als Laurel-Ersatz). Aber es ist nicht einfach ein Fall von Verrat. Laurels Appell an Hardy, dass sie nur zusammen stark sind, stellt sich für diesen ganz anders dar. Als schwächerer Part (denn Laurel war der kreative Kopf) hat er die Wahl, zwischen der Abhängigkeit vom Studio und der von Stan. Der beschwört eine Freundschaft, die asymmetrisch ist und vor allem als diese Beziehung einen Wert hat. »I loved us«, sagt er, und Ollie entgegnet: »You loved Laurel and Hardy, but you never loved me.«

Am Ende siegt, wie unvermeidlich, die Bühne. Sie hat ihre eigene Zugkraft, die hinausgeht über Motive und Persönlichkeiten derer, die sie betreten. Die Kunst ist menschlicher als der Mensch. Und Stan & Ollie sind wahrer als Laurel und Hardy.

»Stan & Ollie«
Großbritannien, Kanada, USA 2018
Regie: Jon S. Baird
Drehbuch: Jeff Pope
Darsteller: Steve Coogan, John C. Reilly
Länge: 97 Minuten
Starttermin: 9. Mai 2019

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in: ND v. 9. Mai 2019.

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