Aug 152019
 

»Once Upon a Time in Hollywood«

Wahrscheinlich begann alles mit dem Hakenkreuz auf der Stirn. Als Tarantino 2009 dem SS-Offizier Hans Landa das Zeichen gravieren ließ, damit der für immer als Nazi kenntlich bleibe, muss er an Charles Manson gedacht haben, der es sich in der Haftzeit aus freien Stücken in die Stirn geritzt hatte. Von da war es bloß noch eine tragende Idee weit zum Vorhaben, einen Film über Manson zu machen. Nunja, und die Kleinigkeit, über den eigenen Schatten zu springen. Tarantino hat die verhängnisvolle Stärke, was immer er anpackt, konsumierbar werden zu lassen. Es gibt Stoffe, da verbietet sich das; handwerklich Makelloses wie »Inglourious Basterds« geriet zum kollossalen Fehlgriff. Beim Manson-Stoff drohte Ähnliches. Es spricht für den Autor, gespürt zu haben, dass bei seiner Art, Filme zu machen, das Monster besser dosiert auf die Leinwand sollte. So erklärt sich der breite Raum einer anderen Fabel im Film, zu der die Geschichte um die Manson-Family lange wie eine lose Ergänzung wirkt.

Auch nach 27 Jahren und neun Filmen bleibt schwer, über Tarantino zu einem einheitlichen Urteil zu kommen. Wenige Filmemacher haben einen so sicheren Sinn für Shots, Schnitte und Räumlichkeit. Nachdem er im Dialogischen von jeher glänzte, ist er mit der Zeit gar ein passabler Storyteller geworden. Dennoch blieben seine Filme seltsam reduziert. Liebe im eigentlichen Sinne kommt nicht vor, echte Gedanken auch nicht. Alles ist Pose – coole, sadistische, zynische –, Typen, so weit das Auge reicht, und nicht ein Charakter. Er hatte schon seine Momente, aber eben wie ein Klavierspieler, der ausschließlich die schwarzen Tasten anschlägt. Sein Kino ist für Leute wie ihn: emotional eingeschränkte Männer. »Once Upon a Time in Hollywood« bricht das. Es ist sein reifstes und daher bestes Werk. Nie war so viel Nuance, Menschlichkeit, Charakter.

In der Fabel verflechten sich zwei Stränge. Der eine zeigt den im Abglanz ruhmreicher Tage lebenden TV-Star Rick Dalton (Leo DiCaprio) und seinen Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt), der ihm zugleich als Chauffeur und Mädchen für alles zur Seite steht. Während Rick um seine Karriere kämpft, hat Cliff eine erste Begegnung mit der Manson-Family. Zugleich erscheint Manson persönlich in der Nachbarschaft von Ricks Villa, wo kurz zuvor Roman Polanski mit seiner Frau Sharon Tate (Margot Robbie) eingezogen ist.

Die starke Exposition präsentiert ein Gewitter der Medien, einen witzigen Erzähler und eine launige Buddy-Komödie, dezent verschnitten mit der parallelen Ereignisreihe um das Paar Tate/Polanski. In die dominante vollends fiktive Räuberpistole um den Schauspieler und seinen treuen Heinrich schleicht sich, beständig mehr Raum fordernd, die Historie ein, was, wir kommen drauf zurück, überaus kunstvoll geschieht. Im Mittelteil trennen sich die Akteure. Cliff folgt einer Spur, die ihn auf die Spahn Ranch der Manson-Family führt, wo es zu einem ersten vorgezogenen Showdown kommt. Roman fliegt nach Europa und lässt Sharon in L.A. zurück. In diesem Abschnitt zieht sich das Geschehen ein wenig, wodurch aber Raum fürs Charakterspiel entsteht. Ab einem bestimmten Punkt nimmt der Film merklich Fahrt auf; die Handlung steuert vor dem bekannten geschichtlichen Hintergrund auf ein Ende zu, in dem Tarantino wieder ganz Tarantino sein wird.

Auch stilistisch bleibt er erkennbar: irritierende Schnitte und intelligente Shots, denen aber der letzte Punch fehlt. Geniale Elemente wie die Tür in »The Hateful Eight«, die Kofferraum-Einstellung in »Reservoir Dogs« oder der V-Schwenk im Waldverhör bei »Inglourious Basterds« fehlen hier. Dafür besorgen ein bis ins Detail ausgetüfteltes Szenenbild, das die Kulisse vollendet zeit-authentisch werden lässt, und der unablässige Verschnitt der erzählten Handlung mit (echtem und fiktivem) Material aus Kino bzw. TV einen tiefen ästhetischen Eindruck, so dass an diesem Film alles wie aus einem Guss wirkt. Er spielt dabei nicht nur mit dem Raum, auch mit dem Spiel. Wir sehen Schauspieler als Menschen (in der Maske, bei Verhandlungen, schwer betrunken am häuslichen Pool) und in ihren Rollen, aber auch dann ist kaum je das filmende Set sichtbar. Spiel und Spiel im Spiel sind praktisch nicht zu scheiden; die Traumfabrik hat keine Ausgänge, alles ist Film, auch das Filmen. Was man für eine Kritik der Kulturindustrie halten könnte, scheint aufs Gegenteil zu laufen: die Dehnung der Fiktion über ihre Grenzen; Film siegt über das Wirkliche. Hierfür spricht die Behandlung Sharon Tates ebenso wie der große Twist am Ende, der eigentlich gar keiner ist.

Was mit Sharon Tate passiert, ist nichts weniger als Ikonographie, wie sie dem Regisseur erst einmal, mit Mia Wallace, glückte. Nur ungleich eleganter jetzt. Ruhiger Hand werden Sharon-Szenen eingestreut; es dauert, bis man sie das erste Mal richtig reden hört. Die Schönheit Margot Robbies arbeitet dem ebenso zu, wie ihre beispiellose Weise, den Körper einzusetzen. Gravitätisch und lasziv wandelt sie durch den Film: wehenden Haars im Cabriolet, leichtfüßig eine Party enternd, ein paar Tanzbewegungen im Schlafzimmer, mit kindlicher Freude unerkannt im Kino den eigenen Film sehend, eine skurrile Brille auf der Nase. Es zeugt eine Mischung von Erotik, sympathischer Verschrobenheit, bildlicher Schönheit und liebenswerter Offenheit. Das Ziel dieser über die erste Hälfte des Films verstreuten Szenen wird ganz deutlich: Man sollen sie lieben lernen, diese Frau, deren tragisches Schicksal man schon kennt. Der Film holt einen Menschen, dessen Erinnerung vollständig von seinem grässlichen Ende überlagert ist, aus dem Schatten zurück ins Licht.

Die Ikonographie ist kein leerer Schein. Sie legt das Substrat aus, auf dem der unglaubliche Ausgang des Films geglaubt werden kann. Das entschädigt dafür, dass er wenig überrascht. Wer sich erinnert, wie Tarantino bislang mit historischen Stoffen umgegangen ist, kann sich vieles ausrechnen. Es geht ihm nie darum, seine Version eines gegebenen Vorgangs zu erzählen. Er setzt der Geschichte eine Gegen-Geschichte vor, und die, meint er, wiegt mehr. Film, wie gesagt, siegt.

Dieser fast metaphysischen Attitüde zum Trotz scheint in »Once Upon a Time in Hollywood« eine sehr persönliche Note auf. Rick und Cliff spiegeln nicht nur das Verhältnis des sensiblen DiCaprio und geradlinigen Pitt wider – der eine ein Typ, der andere ein versierterer Schauspieler, folglich hat Brad die Lines, und Leo die Momente –, in der Spaltung dieser ungleichartigen Zwillinge, hat Tarantino vielleicht sich selbst verarbeitet. Cliff ist Tat ohne Seele, Rick Seele ohne Tat. Sie verkörpern die Unsicherheit des Künstlers, seinen Erfolg betreffend, und die Frechheit, seine Kunst dann doch einfach zu setzen: Jeder Quixote braucht einen Sancho-Panzer. Tarantino hat angekündigt, »Once Upon a Time in Hollywood« werde sein vorletzter Film sein. Mit der Reife kommt der Zweifel. Oder mit dem Zweifel die Reife? Wie auch immer, wann sowas herauskommt, sollte der Mann noch viele vorletzte Filme drehen.

»Once Upon a Time in Hollywood«
USA 2019
Regie: Quentin Tarantino
Drehbuch: Quentin Tarantino
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie
Länge: 160 Minuten
Starttermin: 15. August 2019

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in: ND v. 15. August 2019.

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