Jan 032020
 

»Jam«

Nun ist SABU gewiss oft mit Tarantino verglichen worden, und selten ergiebig. Doch »Jam« erinnert in Struktur und Erzählweise tatsächlich etwas an »Pulp Fiction« (1994). Wie dort werden hier drei Stories verknüpft, wie dort passiert das durch temporale Verschiebung, die einen Teil der dramatischen Spannung besorgt. Wie dort nehmen mitunter Elemente Raum, die nicht mehr leisten sollen als etwas Rätselhaftigkeit in das andernfalls banale Ganovenmilieu zu bringen. Allerdings geht es in »Jam« durchaus um was. Der Film erzählt vom Schicksal dreier Männer.

Hiroshi ist ein erfolgreicher Enka-Sänger, der nach einem Konzert von Masako entführt wird, die sich für seinen größten Fan hält. Sie zwingt ihn, ein Lied nur für sie zu schreiben, und erwartet, dass er dieses Lied auf seinem nächsten Konzert singt. An diese Bedingung seiner Freilassung hält er sich nicht, doch noch ehe Masako darauf reagieren kann, wird der Saal von bewaffneten Räubern überfallen.

Tetsuo ist gerade aus dem Gefängnis entlassen, als er seine im Rollstuhl sitzende Großmutter findet. Er schiebt sie – und man soll da wohl an den Samurai Itto aus »Okami« (1972) denken – durch die nächtlichen Straßen und gerät immer wieder in Kämpfe mit seinen alten Gaunerfreunden. Als Waffe dient ihm dabei ein Hammer – die Anspielung auf »Oldboy« (2003) ist offensichtlich –, die Kämpfe werden mit Fortgang der Handlung grotesker.

Takeru glaubt, seine Freundin Misaki aus dem Koma holen zu können, indem er gute Taten vollbringt. Dabei gerät er an zwei Kriminelle, die ihn für einen Überfall einspannen. Ausrauben wollen sie eine wohlhabende Dame, die Fan des Enka-Sängers Hiroshi ist.

Die, so beschrieben, noch recht lose wirkenden Enden verflechten sich im Lauf der Handlung enger, und wir sehen einen außerordentlich gut erzählten, mit dramatischen Pointen und gelungenen Twists bestückten Film, der SABUs früheren Streichen (»Postman Blues«, »Monday«, »Blessing Bell«) ebenbürtig ist. Der Episodenfilm als Genre ist zu Recht in Verruf und oft nichts anderes als eine mehr oder weniger geschickt verschränkte Sammlung von Einzelheiten. »Jam« erzählt tatsächlich ein und dieselbe Handlung, die nur von verschiedenen Seiten her begonnen und ausgeleuchtet wird.

Auch auf der Sinnebene erweist der Film sich als Einheit; die Stories scheinen die Frage zu stellen, wie frei menschliches Handeln ist. Alle drei Helden agieren vermeintlich souverän, tatsächlich sind sie den Umständen unterworfen und vielmehr Objekt als Subjekt ihres Handelns. Hiroshi zum Beispiel dirigiert seine Fangemeinde, die ausschließlich aus Damen mittleren Alters besteht, wie ein Kapellmeister, aber um sein Publikum zu beherrschen, muss er sich dessen sprunghaften Launen und Unzulänglichkeiten unterwerfen. Als moderner Enka-Sänger ist er nicht zuerst Künstler, sondern Dienstleister – ein elementares Problem, das ein Künstler wie SABU, von dem man seit Jahrzehnten eine ganz bestimmte Sorte Film erwartet, hier offenbar verarbeitet hat.

Ins Groteske und damit zur Wahrheit getrieben wird dieses Verhältnis durch die Entführung. Masako tritt den anderen Fans gegenüber als Wahrerin der reinen Kunst auf. Das Publikum habe kein Recht, den Künstler zu diktieren. Bloß blendet sie aus, dass sie selbst Teil des Publikums ist, was zur simplen Identifikation ihres Wollens mit dem des Sängers führt. Weil sie ihn einzig und wahrhaft zu verstehen glaubt, kann sie zwischen dem, was sie will, und dem, was er ist oder will, nicht mehr unterscheiden. Die äußerste Objektivität des Fandoms ist zugleich die äußerste Subjektivität. (Es gibt übrigens eine Post-credits scene, die zum Thema »Künstler und Publikum« eine interessante Ergänzung macht.)

Nicht nur aufgrund dieser feinen ideellen Architektur hebt die erste Story sich von den anderen beiden ab. Tetsuos Geschichte kann vor allem formal überzeugen, durch die Inszenierung der immer absurder werdenden Kampszenen. Was zunächst noch wie eine ehrliche Hommage an »Oldboy« wirkt, wird bald zur Parodie dieses Films. SABU verzichtet bei den Hammer-Kämpfen auf die Wiederholung der berühmten Plansequenz, arbeitet mit kurzen, dynamischen Schnitten, und wenn Tetsuo sich auf engen Raum mit 15 Nahkämpfern zugleich anlegt, weiß man endlich auch, warum der Film »Jam« heißt (wobei sich das ebenso auf die enge Verwicklung sämtlicher Ereignisse miteinander beziehen könnte). Gedanklich reduziert sich diese zweite Story darauf, dass Tetsuos Versuch, zwei Vorhaben auf einmal zu erreichen (Großmutter zum Ziel bringen und Rache üben) beinahe verunmöglicht wird, man also auch im freien Handeln stets wählen und verzichten muss.

Wo Tetsuo durch Sturheit gehindert ist, gerät Takeru die eigene Dummheit zum Problem. Er glaubt ernsthaft, ein geschehenes Verbrechen durch persönliches Handeln wieder aufheben zu können. Und er treibt dabei in Umstände, die das Gegenteil dessen sind, was er tun möchte. Durch seine Naivität und den Glauben, das Gute ohne weiteres zu bewirken, erreicht er im besten Fall Missverständnisse. Man kann das als Persiflage auf alle möglichen Formen von Verbrechensbewältigung sehen, sei es der Schrei nach Todesstrafe, sei es das Talionsprinzip, Rache, Beichte oder Selbstbestrafung. Alles Spielarten, vor der Einsicht zu kapitulieren, dass der Tod eines Menschen nicht rückgängig gemacht werden kann.

Dass der Film insgesamt mit einer Vorausblende eröffnet, trägt diesen Charakter. Was in ihm erzählt wird, ist der Eröffnung­ nach bereits geschehen. Es geht um Rekonstruktion, nicht darum, etwas zu ändern, das sich nicht mehr ändern lässt. Und es bleibt dem Publikum überlassen, ob diese drei Geschichten uns mitteilen, dass freies Handeln gar nicht möglich ist, oder ob sie als Beispiele dafür dienen, wie man es nicht tun sollte.

»Jam«
Japan 2018
Regie: SABU
Drehbuch: SABU
Darsteller: Sho Aoyagi, Keita Machida, Nobuyuki Suzuki
Länge: 102 Minuten
Starttermin: 26. Dezember 2019

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in: ND v. 3. Januar 2020.

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