Feb 202020
 

»Weißer, weißer Tag«

Im Outback Islands, jenes eigenartigen Staats, der fast ausschließlich an seinen Küsten besiedelt ist, scheint sich die Handlung dieses Films zuzutragen. Der Polizist Ingimundur (Ingvar Eggert Sigurosson) lebt nach dem Unfalltod seiner Frau in zeitweiligem Ruhestand. Die Verhältnisse der verbliebenen Familie sind schwierig, einzig mit seiner Enkelin Salka (Ída Mekkín Hlynsdóttir) pflegt er unbeschwerten Umgang. Als der Verdacht aufkommt, sein Nachbar Olgeir (Himir Snaer Guonason) habe eine Affäre mit seiner Frau gehabt, beginnt Ingimundur zu ermitteln. Immer mehr beherrscht ihn der Gedanke der Rache.

Nicht übermäßig komplex – dazu fehlt es an Beziehungen in der Personage –, doch psychologisch dicht ist dieser Film gezeichnet, der nahezu vollständig in seiner Hauptfigur aufgeht. Die Schwierigkeit, einen Zugang zu finden, da Ingimundur verschlossen bleibt und kaum anders als durch seine Handlungen spricht, macht einen Teil des Reizes aus. Der andere liegt in der kunstvollen Inszenierung, die gegen die akustische und visuelle Meisterschaft defätistischer Beziehungsdramen der jüngeren Zeit – »Pferde stehlen«, »Little Joe« – durchaus bestehen kann. Das lässt sich exemplarisch an der Eröffnung des Films beschreiben. Die spielt als Plansequenz einer Autofahrt mit Geduld und Erwartung des Zuschauers. Immer wieder kreuzt der Wagen die Spurlinie, gleichsam symbolisch für den Umschlag von Sicherheit in Risiko, Leben in Tod, ehe passiert, was der Ankündigung nach klar scheint. Mit dem nächsten Cut folgt eine Einstellung, die das genaue Gegenteil tut. Hier ist der Ort fix und die Zeit gerafft. Schnitt für Schnitt sehen wir dasselbe einsam in der Landschaft stehende Gehöft, in dem der Witwer lebt, mit jedem neuen Shot wechseln Licht und Wetter. So verbildlicht sich die verstreichende Zeit seit dem Unfall, die zähe Trauerarbeit, die zunächst inneren Stillstand bedeutet, während das Leben draußen weitergeht. Diese Sequenz wiederum wird konterkariert durch den beständigen Umbau des Gehöfts in der späteren Filmhandlung, eben wie eine Seele nach der Akzeptanz des Verlustes sich allmählich umbaut.

Das hierin anklingende inszenatorische Niveau hält der Film bis zum Ende durch, und obgleich die Schnitte kaum je schnell sind, tragen sie erheblich zur verstörenden Wirkung bei. Die Helligkeit der Landschaft klärt die Sicht kaum auf, weil all das zumeist im Nebel liegt. Wunderbar irritierend auch der Score mit permanent atonaler und disharmonischer, unruhiger und rhythmusstörender Geigenmusik.

Hinter dem vordergründigen Thema der Trauerverarbeitung scheint die Charakterstudie eines verschlossenen Menschen auf, der Liebe nicht artikulieren, sondern allenfalls in Taten zeigen kann. Weniger durch Hinwendung aber, sondern mittels Wut gegen den vermeintlichen Zerstörer der Liebe. Ingimundur versagt sich offene Traurigkeit. Dass er endlich doch impulsiv handelt, hat Logik. Gerade weil er die Gefühle nicht wahrhaben will, können sie ihn so beherrschen. Der Verdacht des Betrugs wirkt wie eine Zündung. Rache wird zum metaphysischen Prinzip, als sei man in einem Roman von Dürrenmatt gelandet.

Interessant dabei ist die Abwesenheit der verstorbenen Frau. Kein Photo, keine Rückblende, kaum konkrete Erinnerung. Auf die Art ist die Verstorbene präsenter als je, durchgängig anwesend. Und diese Präsenz widerspiegelt tatsächlich die Zeit vor dem Unfall. Vorsichtig, aber beharrlich deutet sich immer wieder an, dass die vermeintlich glückliche Liebe der symbiotischen Beziehung lange schon vergiftet war. Gerade die permanente Liebe von lebenslang verbundenen Menschen befördert das Traurige am stärksten, weil Nähe immer auch bedeutet, den bittersten Seiten eines Menschen ausgesetzt zu sein.

»Weißer, weißer Tag« [»Hvítur, hvítur dagur«]
Island, Dänemark, Schweden 2019
Regie: Hylnur Pálmason
Drehbuch: Hylnur Pálmason
Darsteller: Ingvar E. Sigurðsson, Ída Mekkín Hlynsdóttir, Hilmir Snær Guðnason
Länge: 109 Minuten
Starttermin: 20. Februar 2020

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in: Neues Deutschland v. 20. Februar 2020.

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