Mrz 052020
 

»Die Känguru-Chroniken«

Was tun mit einem Buch, das verfilmt werden soll, aber nicht verfilmt werden kann? Was immer sich anführen lässt zugunsten von Marc-Uwe Klings »Känguru«-Bänden (entstanden zwischen 2009 und 2014), sie sind viel zu episodisch und weitläufig, viel zu gedanklich und dialogisch auch, um hieraus eine gebundene Sache wie die Handlung eines Films gewinnen zu können. Folglich gab es zwei Wege: einen im Buch vorhandenen Strang herausschälen und zum filmtragenden Geschehen aufpumpen, oder aber eine völlig neue Handlung schaffen, die nicht der Erzählung, doch den Figuren treu bleibt. Regisseur Dani Levy und der auch für das Drehbuch verantwortliche Autor Marc-Uwe Kling entschieden sich für den zweiten Weg, und vermutlich war das richtig.

Das Setting deckt sich mit dem der Bücher: Ein marxistisch-leninistisch mehr orientiert als geschultes Känguru, dessen Verhalten beständig zwischen Autonomie und Übergriffigkeit schwankt, nistet sich bei einem dem Anarchismus zugetanen Kleinkünstler »mit Migräne-Hintergrund« ein, der den Namen Marc-Uwe trägt und bei eigentlich allem überfordert wirkt. Gespielt wird Marc-Uwe von Dimitrij Schaad, gesprochen das Känguru von Marc-Uwe (dem echten). Auch die flankierende Personage der Bücher treffen wir wieder: Herta (Carmen-Maja Antoni), Otto von (Tim Seyfi), Friedrich Wilhelm (Adnan Maral). Lediglich Krapotke fehlt; er musste wohl Maria (Rosalie Thomass) weichen, die als Marc-Uwes Love interest fungiert (was für die Filmhandlung nicht nötig war und die etablierten Figurenbeziehungen eher stört). Der große Gegenspieler der beiden Helden ist der rechtspopulistische Bauunternehmer Jörg Dwigs (Henry Hübchen), im Buch eine Randfigur und dort nicht Unternehmer, sondern Richter (als Anspielung auf Ronald Schill). Dieser Dwigs, also der des Films, ist munter dabei, Kreuzberg zu gentrifizieren. Dort, wo der Görlitzer Park liegt, soll sich bald ein gigantischer Tower erheben. Das vom Känguru gegründete Asoziale Netzwerk wird tätig.

Viel falsch machen kann man bei diesem Stoff nicht. Die größte Schwierigkeit lag im visuellen Konzept des Films, der animierte und real gedrehte Szenen mischt. Da der Vergleich zu »Ted« (2012), »Paddington« (2014) oder »Peter Rabbit« (2018) aus Gründen des Budgets immer schon verloren war, scheint die Entscheidung, die Animation gezielt fremd und schroff wirken zu lassen, in Richtung Karikatur fast, nachvollziehbar. Sie passt auch zum Charakter der literarischen Vorlage, deren sprachlicher Stil flott, aber nicht elegant ist, die sich stets aufs Gedankliche und die Pointe konzentriert, die kaum je mit eindringlichen Zeichnungen von Charakteren oder detaillierten Beschreibungen von Orten arbeitet. Gleichfalls dem Charakter der »Chroniken« entsprechen die sprühenden Einfälle der Regie. Der Film eröffnet in der Hinsicht unglaublich stark mit Vorwegnahme, Durchbruch der Vierten Wand, Vor- und Zurückspulen, dem Eingriff des Erzählers in die Handlung und umgekehrt des Handelnden in die Erzählung. In eben dieser Manier schrieb Kling auch seine Bücher, in denen Witz nicht allein im Dialog und der Situation entsteht, sondern in manchen Episoden auch durch Spiel mit und Reflexion der Erzählweise. Mit dieser ungemeinen Dichte an Pointen und Sentenzen kann die Verfilmung nicht mithalten, weil Film andere Effekte bedienen muss und auch ohnedies den nötigen Platz nicht hätte. Gleichwohl ist ungemein entspannend, eine deutschsprachige Komödie zu sehen, die tatsächlich leicht sein will – unterhalten, ohne zu überwältigen, Erkenntnis vermitteln, ohne zu belehren – und eben dadurch mehr Tiefe erreicht als die von der bundesdeutschen Filmförderung munter forcierten Sinnsuchereien von der Stange.

Das Spielerische des Buchs gerät im Film allerdings zu sehr ins Anspielerische. Während die Referenzen auf »Fight Club« (1999) in der Vorlage eine klare Funktion haben (nämlich die Revolution des Kängurus als LARP-Revolte zu denunzieren), scheinen sie in der Verfilmung um ihrer selbst willen da zu sein. Andere Anspielungen – Urin auf dem Teppich wie in »The Big Lebowski« (1998), Besuch beim Sohn eines mitgefangenen Kameraden wie in »Pulp Fiction« (1994), eine Hasenpfote als Auslöser dramatischer Entwicklung wie in »Mission Impossible III« (2006) – sind freiweg hinzugeschrieben und verraten wenig mehr als dass der Autor durchs Kino der Neunziger sozialisiert wurde. Charmant sind die Anspielungen auf Spencer-Hill-Filme, etwa wenn zur bekannten Melodie von »Zwei außer Rand und Band« (1977) genau wie dort ein Auto von einer Schlägertruppe demoliert wird.

Die größte Schwäche des Films liegt aber nicht in genrebedingten Differenzen, sondern in der Verflachung der Hauptidee. Wo in den Büchern ein subversiver Antikapitalismus sich immerhin das Gesellschaftsganze kritisch vornimmt, bricht der Film den Hauptfeind auf den Rechtspopulismus herunter. Gesellschaftskritik, die kaum wem wehtut, denn gegen die AfD können sich fast alle einigen. Der Pinguin, der in den Büchern das Aalglatte, Opportunistische, Gleichmacherische des Kapitalismus verkörpert, wird in eine Post-Credit-Scene abgeschoben. Aus schwungvollem Marxismus wird die Verteidigung des (im Film abwesenden) Merkel-Deutschlands, jenes Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, der seinen barbarischen Charakter im allgemeinen durchsetzt, indem er ihn im besonderen verleugnet.

Dennoch schafft der Film, eigenständige Ideen zu entwickeln, nicht im Wort, aber szenisch. Ein virtueller Tower, der Angst auslöst, wenn er fällt, scheint Sinnbild für die Macht des Digitalen zu sein, für eine Gewalt ohne Körper, die seit den sozialen Netzwerken zur Alltagserfahrung geworden ist. Die Hasenpfote schließlich, die für ihren Besitzer etwas ganz anderes bedeutet, als es zunächst scheint, macht deutlich, was man beim Phänomen des Rechtspopulismus nie vergessen soll, dass all jene affektiven, sentimentalen Elemente, an denen Populismus von scheinbar rationalen Formen der Politik unterscheidbar ist, verdecken, dass dahinter handfeste Interessen stecken.

»Die Känguru-Chroniken«
Deutschland 2020
Regie: Dani Levy
Drehbuch: Marc-Uwe Kling
Darsteller: Dimitrij Schaad, Rosalie Thomass, Henry Hübchen, Carmen-Maja Antoni
Länge: 90 Minuten
Starttermin: 5. März 2020

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in: Neues Deutschland v. 5. März 2020.

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