Apr 042020
 

Der Virologe als Influencer: Zum Corona-Podcast des Mediziners Christian Drosten

Im Februar noch hätte ich »Drosten« für eine Pluralform gehalten. Für das also, was fällig würde, wenn Wiglaf und Annette sich trotz Kontaktverbot im Dichterhimmel treffen. Aber jetzt kommt er, ganz in weiß, der Viruskundler, gefragt vor allen, zu allem gefragt. Muss wissen, vorauswissen, immer richtig liegen. Man lauscht ihm. Die einen, um zu folgen, die andern, weil sie warten, dass er einen Fehler macht. Jedes Adverb kann ihm zum Verhängnis werden. Christian Drosten bleibt dran, philibustert weiter, solange jemand redet, ist die Menschheit noch da.

Pandemie bedeutet, dass Virologen zu Influencern werden. Man sollte berücksichtigen, dass die Lage uns alle überfordert. Drosten hat, indem ich das schreibe, 27 Podcasts gefüllt. Das macht etwa 13 Stunden Nettoredezeit. Niemand, und sei er vom Fach, kann so viel reden und dann nicht auch mal danebenlangen. Von Drosten aber, dessen Beschlagenheit unstrittig ist, wird Perfektion erwartet.

Unerfüllbare Erwartungen entstehen selten einfach so. Die Leute hören den eloquenten, kundigen Redner, der sich widersprechende Aussagen gleich überzeugend begründen kann, und vermuten, da stimme was nicht. Tatsächlich zeichnet der seltsame Kult um den Mann im Kittel eine Version charismatischer Herrschaft nach. Die Pandemie, wie gesagt, überfordert. Unsere Strukturen, unsere Ressourcen, unser Verhalten, unser Denken. All das ist auf den Normalzustand geeicht. Der Virologe soll uns aus dem Elend führen, kühl, entschlossen, weise. Drosten stößt in ein Vakuum, das dort entsteht, wo Politiker nicht mehr ernstgenommen werden.

Dieser Mangel an Respekt scheint nicht erst Symptom dieser Krise, sondern überhaupt eines Gemeinwesens, dessen Macht partikular verteilt ist. Die bürgerliche Gesellschaft, in der die eine Hand nicht weiß, was die andere tut, bringt einen Typus Politiker hervor, der beizeiten an der Krise herumdoktort, doch veritable Macht zu Planung und Organisation nicht besitzt. Wie auch, wenn weite Teile der Wirtschaft in privater Hand bleiben? Man kann diesen Typus nicht ernstnehmen. Das Bedürfnis, sich behütet zu wissen, verschwindet nicht, es wächst im Gegenteil dort an, wo es unbefriedigt bleibt. Der Rückzug des Staates erst macht die Sehnsucht nach dem starken Mann stark. Für gewöhnlich sucht sie den populistischen Macker, unter der Pandemie folgerichtig den Virologen.

Die Menschen über den Kampf gegen das Virus informieren und dabei ein paar Grundkenntnisse vermitteln, das macht er ausgezeichnet, doch beides bleibt kollateral. Zur Zeit ist der Mann einfach Regierungssprecher. Die kaum verborgene Lobbyarbeit scheint der gewichtigste Grund für das wachsende Unbehagen. Die Leute merken, dass Drosten kalkuliert spricht.

Während Geisteswissenschaftler wenigstens die Möglichkeit besitzen, gegen ihre Umgebung zu leben, sehen Naturwissenschaftler sich unvermeidlich verwoben mit dem politisch-industriellen Komplex. Für einen wie Drosten sind Politikberatung und Zuarbeit für Chemiekonzerne nichts Anstößiges, sondern Teil der Arbeit. Autonomes Denken scheint damit ausgeschlossen. Tatsächlich ist mir von ihm keine einzige kritische Bemerkung gegen Maßnahmen der Regierung oder vorhandene Zustände erinnerlich. Was immer gerade anstand, Drosten fand die Worte zu erklären, warum das jetzt nötig sei. Was immer die Regierung oder das RKI versäumt hatten, Drosten konnte erklären, warum das kein Versäumnis war. Zu jedem Vorgang hält er drei Meinungen. Eine für davor, eine für danach und eine in Reserve (man weiß ja nie).

So schien ihm die kontrollierte Durchinfektion zunächst erwägbar, später lehnte er sie ab. Als die Frage nach den Atemmasken aufkam, stellte er fest, dass sie dem, der sie trägt, nichts bringen. Zwei Wochen später riet er, Masken zu tragen. Natürlich wusste Drosten, da vom Fach, über den Sinn der Masken auch davor schon Bescheid: Sie schützen die Umwelt vor dem Träger, nicht umgekehrt. Das Motiv jener Finte war noch ehrbar; offensichtlich sollte ein Run auf die lieferbaren Bestände verhindert werden, damit Krankenhäuser sie sichern können. Weniger ehrbar hingegen, dass Drosten zu einer Zeit, da ein Verbot öffentlicher Veranstaltungen längst unumgänglich schien, das Zaudern der Regierung mit dem Hinweis auf den Föderalismus deckte, und auch was die jüngste Diskussion betrifft, wiederholt sich das Muster. Es gebe, sagt er, keine Daten zur Frage, ob ein Lockdown was bringe. Natürlich gibt es für einen Fall, der sich experimentell gar nicht nachstellen lässt, keine Daten. Aber man kann ja mal den Verstand benutzen. Übertragung findet durch Kontakte statt, und wenn Kontaktsituationen reduziert werden, muss sich das auf die Verbreitung des Virus auswirken. Wo Drosten sich auf scheinbar wissenschaftliche Strenge zurückzieht, befolgt er tatsächlich bloß die Maßgaben der Regierung, die den Lockdown zur Zeit noch für überzogen hält.

Die sogenannten Irrtümer Drostens hatten praktisch immer politischen Charakter. Was für sich schon in Ordnung geht. Die Krise braucht eine Form der Selbstverständigung; dazu gehören das Bekämpfen von Panik, Vermehren von Achtsamkeit, Widerlegen geläufiger Irrtümer und sicher auch das Zurückhalten heikler Informationen. Nicht dass er Politik macht, ist das Problem an Drosten, es ist die Politik, die er vertreten muss. Dienstbare Erklärung versagt, wo sie rechtfertigen soll, was sich nicht rechtfertigen lässt. Daher das penetrante Changieren in den Urteilen, die Unfähigkeit zur konsistenten Modellvorstellung. Man sagt über Cäsar: Taktisch war er ein Genie, strategisch eine Enttäuschung. In die Geschichte eingegangen ist er trotzdem.

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in: junge Welt v. 4. April 2020.

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