Mrz 182019
 

Und gelegentlich wird jemand erschossen: »Wintermärchen«

Der Titel drängt sich auf. Man denkt an Deutschland, Heine, das dumme Sommermärchen von 2006 und müsste noch am ehesten jenes kaum bekannte, späte Drama Shakespeares erinnern, worin gleichfalls das Politische hinterm Persönlichen verschwindet. Denn das passiert in diesem Film, und allein seine Atmosphäre – die hektische Kameraführung, die karge Beleuchtung, worin der Eindruck eines nie enden wollenden Novembers entsteht – wird dem Titelmotiv gerecht. Der Rest hängt so im Raum.

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Mrz 152019
 

»Destroyer«

Der Star ist nicht die Mannschaft. Nicht das Drehbuch. Nicht die Regie. Der Star ist der Star. Es ist Nicole Kidman. Ausgerechnet sie, die ewig junggebliebene, makellose, die oft ihr Können bewiesen hat, behauptet sich hier ganz gegen ihr Profil. Weiblichkeit soll unterm Spiel vergraben werden, Ekel ist kalkuliert, wie zuletzt bei Melissa McCarthy in »Can You Ever Forgive Me«. Es mag Härteres gegeben haben. Nie, meine ich, wurde eine bis auf den Grund zerstörte, von Schuldgefühl zersetzte Persönlichkeit so intensiv und einnehmend gespielt wie in »Destroyer«.

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Mrz 082019
 

»The Sisters Brothers«

Gewiss, das ist ein weiteres Exemplar aus der langen Reihe ›Der ganz ganz andere Western‹. Was noch nichts heißt. Wer heute Western macht, muss abliefern, und Jacques Audiard liefert ab. Seine Adaption von Patrick deWitts groteskem Roman »The Sisters Brothers« geht nach jeder Seite hin auf: erzählerisch, psychologisch, philosophisch und als Kunstwerk.

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Mrz 072019
 

»White Boy Rick«

Dass ein Film ratlos macht, ist eines; was ganz anderes, wenn nicht einmal das noch stört. »White Boy Rick«, dem biographischen Picture des seinerzeit minderjährigen Drogenhändlers Rick Wershe, gelingt das Kunststück, eine außergewöhnliche Story belanglos bis zur Gleichgültigkeit zu machen. Im gemächlich verrottenden Detroit der 80er wird Richard, genannt Rick, zum Informanten des FBI. Die Operation gerät außer Kontrolle, als er tiefer in die Geschäfte einsteigt. Der neue Reichtum heilt zunächst einige Familienprobleme, doch schließlich wird Rick verhaftet und trotz Minderjährigkeit verurteilt.

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Feb 232019
 

Wie jedes Jahr, mehr um die Langeweile zu verscheuchen als deswegen, weils tatsächlich relevant wäre, hier was zum heraufziehenden Inferno. Ein Filmpreis, der sich Oscar nennt, hat ohnehin verloren. Gewisse Aufregungen verstehe ich einfach nicht.

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Feb 202019
 

»Vice – Der zweite Mann«

Es beginnt 1950 in Wyoming, wo die Welt nicht heil, aber noch in Ordnung war. Der Landarbeiter Dick Cheney gerät betrunken in eine Polizeikontrolle. Es ist der Moment, in dem sich sein Leben ändert. Seine Frau Lynne stellt ihn vor die Wahl: Entweder mache er was aus sich, oder sie werde ihn verlassen. So lernt er bei Donald Rumsfeld das Handwerk einer Politik ohne Inhalt. Ein halbes Dutzend Wahlperioden später erkennt er in George W. Bush einen gut zu führenden Frontmann, hinter dem er als Schattenpräsident das Land regieren kann. Dick trifft auf Doof, das ist die Lesart.

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Feb 152019
 

»Alita: Battle Angel«

Robert Rodriguez verwirklicht in »Alita: Battle Angel«, nach Kishiro Yukitos Manga-Serie »Ganmu«, ein altes Vorhaben James Camerons. Der, leider, zieht vor, drei weitere »Avatar«-Filme zu produzieren, hat aber wenigstens das Drehbuch geschrieben. Rodriguezʼ Absicht, keinen Rodriguez-, sondern einen Cameron-Film zu drehen, bringt Licht in ein hartnäckiges Dunkel. Nicht Mangel an Talent hat, wie wir lange dachten, Rodriguez zu jenem legendär schlechten Regisseur gemacht, sondern ein Mangel an Geschmack. Unterstellt er sein Handwerk, wie nun, dem Willen eines ästhetisch erprobten Verstands, vermag er durchaus Schönheit und Klasse in die Welt zu werfen.

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Feb 072019
 

»Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt«

Die unbestreitbare Schönheit dieses Films konzediert, scheint nicht verkehrt, anstelle einer Rezension die gesamte Reihe in Blick zu nehmen. Dean DeBlois selbst gibt an, dass er mit den drei Filmen eine übergreifende Story erzählen will. Gelungen ist ihm viel mehr als das. »Drachenzähmen« zeichnet, vielleicht unwillentlich, ein Sittenbild dieser Epoche. Im Kunstwerk decken sich Absicht und Ergebnis nie ganz. Erzähler packen die Welt oft intuitiv und könnten es nicht begrifflich machen. Zum anderen folgen sie der Logik des Erzählens, wodurch sie unvermeidlich Bedeutung herstellen. »In der Kunst«, schreibt Peter Hacks, »verändern Sachverhalte ihr Wesen; sie hören auf zu sein und fangen an zu bedeuten.« Wie Literatur übersetzt Film Strukturen der Wirklichkeit in Ideenstrukturen. Die Frage ist nicht, ob, sondern wie gut er das tut.

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Jan 282019
 

»The Favourite – Intrigen und Irrsinn«

Wenn Yorgos Lanthimos bislang für ein Kino stand, in dem Stil vor Substanz kommt, scheint sich das in »The Favourite« umzukehren. Das soll nicht sagen, dass die künstlerischen Mittel hier weniger effektvoll wären als etwa in »The Lobster« (2015) oder »The Killing of a Sacred Deer« (2017). Die Musik schwankt zwischen Harmonie und schriller Beklemmtheit, die Kamera reproduziert diese Stimmung durch nicht vorhersehbare, impulsive Fahrten sowie einen häufigen Wechsel von Weitwinkel und Fisheye auch bei Innenszenen. Die Beleuchtung nutzt, inspiriert von Kubricks Arbeit an »Barry Lyndon« (1975), ausschließlich natürliche Lichtquellen, was der Orientierung im Raum oft nicht zuträglich ist.

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Jan 242019
 

Tschechow auf DVD: »The Seagull«

Den Spoiler gleich vorwegzunehmen: Auch dieser Adaption gelingt nicht, Tschechows ursprüngliche Intention umzusetzen. »Die Möwe« war gedacht als bittere Komödie über das sich an sich selbst langweilende Bürgertum. Doch Tschechows Absicht, seine Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben, hat es nie bis ins Stück geschafft. Die Charaktere mögen miese Typen sein, es sind doch Charaktere. Keine halbwegs redliche Inszenierung könnte das verdecken, und da es dem Stück andererseits an oberflächlichem Witz fehlt, fällt jede Auslegung, von Stanislawski bis in die Gegenwart, fast zwingend aufs Betrübliche zurück.

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Jan 192019
 

»Fahrenheit 11/9«

Im Juli 2016, als praktisch alle Umfragen eine Niederlage des Kandidaten Trump anzeigten, sagte Michael Moore dessen Sieg voraus. Rufer in der Wüste gibt es wie Sand daselbst. Doch hier war kein Kokettieren mit einer Außenseitermeinung im Spiel, kein Berauschen am Szenario eines Hampelmanns im Weißen Haus, der dem Kapitalismus endlich das passende Gesicht gebe, kein Clinton-ist-eigentlich-schlimmer-Unsinn, keine Verwechslung des übergreifenden Interesses am Weltfrieden mit der partikularen Position der imperialistischen Macht Russland gegen die imperialistische Hegemonialmacht USA. Moores Text nannte fünf substantielle Gründe. In »Fahrenheit 11/9« liegt jetzt der Versuch vor, diese Gründe retrospektiv auszubreiten. Aus »5 reasons why Trump will win« wurde »How the fuck did this happen?«

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Jan 112019
 

»Ben Is Back«

Sonderbar, dass Drogenfilme so wenig abhängig machen. Sie sind zumeist langweilig, und das auch noch aus Gründen, denn es gibt durchaus Spannenderes als Hängern dabei zuzusehen, wie sie in Löcher fallen. Ein Charakter, der bei Dingen scheitert, die andere einfach Alltag nennen, sonst aber wenig Bemerkenswertes an sich hat, bedarf entweder einer dynamischen Handlung, wie z.B. in »Trainspotting« (1996), die dann allerdings den gebotenen Ernst sabotiert. Oder einer Aufwertung durch herausragende Fähigkeiten, wie etwa bei Sherlock Holmes, dem Urbild des verrückten Genies – als der Form, worin der Common Sense das Außergewöhnliche noch eben erträgt. »Ben is Back« bezieht seine Kraft weder von der Handlung noch von seinem Titelhelden, sondern daraus, dass der Suchtfall als Anlass dient, die gesamte Familie einem Tox-Screen zu unterziehen.

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Dez 272018
 

»Shoplifters«

Dass in Cannes die Palme wackelt, sagt noch nichts über Goldregen in L.A. Dennoch dürfte ein Oscar für »Shoplifters«, trotz starker Konkurrenz bei den Einreichungen (»The Guilty«, »Roma«, »Burning«, »Dogman«, »Waldheims Walzer«), im nachhinein so selbstverständlich scheinen wie vor drei Jahren bei »Son of Saul«. Das hängt nicht zuletzt am sozialen Tonfall. Koreeda Hirokazu zeigt moralisch nicht eindeutige Menschen und macht keine Vorschrift, wie man sie zu finden hat. Gleichwohl sind die punktgenauen, lakonischen Sentenzen, die Sprache der Szene und das Schauspiel des gesamten Ensembles so manipulativ, dass ein Rückzug in bloß anschaulichen Naturalismus unterbunden wird.

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Dez 212018
 

»Die Schneiderin der Träume«

Da ihr Mann früh verstorben ist, war die noch junge Ratna gezwungen, in Mumbai eine Stelle als Dienstmädchen anzunehmen. Sie lebt dort im Haushalt des etwa gleichalten Ashwin, der gerade seine geplante Hochzeit platzen ließ. Während sie den Traum verfolgt, Schneiderin zu werden, muss Ashwin ein Lebensziel erst wieder finden. Er hat die Möglichkeiten, sie die Ambitionen. Dergestalt passend wie Schloss und Schlüssel lassen sie sich aufeinander ein. Was anderswo eine alltägliche Lovestory wäre, ist unterm Diktat traditioneller und ökonomischer Einflüsse eine viel größere Sache – vergleichbar vielleicht der Lage, die Schiller zum Ende des 18. Jahrhundert in »Kabale und Liebe« gespiegelt hat.

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Dez 142018
 

»Take the Ball, Pass the Ball«

Als John Cleese 2006 in »The Art of Football« durch das Alphabet des Sports führte, war neben dem inhaltlichen auch ein artistischer Höhepunkt erreicht. Wenn »Take the Ball, Pass the Ball« jetzt den Eindruck weckt, daran anzuschließen, so weniger durch einen Willen zur Form. Es fehlt hier durchaus die tragende Idee in der Gestaltung – das Ästhetische ruht im Gegenstand selbst. Schöner Fußball war oft, nie aber wurde er so gravitätisch wie bei Guardiolas Barca. Das liegt nicht allein an der Spielidee, über die sich ja streiten lässt, sondern darin, dass noch nie jemals – irgendwie irgendwo irgendwann – eine Spielidee so vollendet auf den Platz gebracht wurde. Doch der Reihe nach.

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