Jun 202009
 

Vielleicht hat Monika Maron, der man jüngst den Nationalpreis für ihr „Werk“ übergeholfen hat, in ihrem Leben nie einen wahreren Satz gesagt als den, mit dem sie zu ihrer Dankesrede anhub:

Der Preis der Deutschen Nationalstiftung ist kein Literatur-Preis. Er ist ein politischer Preis

Ich begrüße so viel Ehrlichkeit. In der Tat sind die drei Preisträger Uwe Tellkamp, Erich Loest und eben Monika Maron literarisch gesehen bestenfalls Holzklasse, wobei betont sei: Holzklasse der gegenwärtigen Literatur. Ein Urteil unter Berücksichtigung der gesamten deutschsprachigen Literatur fiele sicher weit vernichtender aus. Tellkamps Turm ist letztlich nichts anderes als der rührende Versuch, auf 973 Seiten zu einem lesbaren Deutsch zu gelangen; rührend deshalb, weil es ihm am Ende kaum auf einer der vielen Seiten gelungen ist. Zum sowohl gedanklich als auch sprachlich biederen Loest hat Rayk Wieland einmal so treffend wie erschöpfend seine Leseerfahrung verdichtet: „Eingedöst / Bei Erich Loest.“

Ich mag nicht breit werden über Leute, von denen in fünfzig Jahren keiner mehr sprechen und die in hundert Jahren niemand mehr kennen wird. Mich interessiert das Exemplarische an dem Fall. In der Kulturpolitik geht es nie um Kultur und immer um Politik. Das ist in allen Staaten. Und natürlich gehört zu dem Spiel, diesen Sachverhalt abzustreiten. Auch das ist in allen Staaten. Daher meine Dankbarkeit gegen Monika Maron.

Geschichtsstunde. In einem 1964 erschienenen und „Eine peinliche Legende“ überschriebenen Aufsatz unternahm Marcel Reich-Ranicki es, den Schriftsteller Hans Marchwitza anzugreifen, weil dieser zum dritten Mal den Nationalpreis der DDR erhalten hatte. Reich-Ranicki ist ehrlich, und seine Argumente sind gut. Alles, was er gegen Marchwitza vorbringt, trifft. Dieser von der Kulturbürokratie der DDR unermüdlich forcierte Arbeiterschriftsteller hatte keine Gedanken, was nur dadurch etwas entschärft wurde, daß er selbst die auszudrücken unfähig war; in jeder Hinsicht bieder – ja, durchaus: als literarische Erscheinung gliche er dem Erich Loest aufs Haar, wäre da nicht die entgegengesetzte politische Haltung. Reich-Ranicki schloß seinen Aufsatz mit dem Gedanken:

Wenn Bücher, die mit dem, was wir unter dem Begriff „Literatur“ verstehen, keinerlei Berührungspunkte mehr aufweisen, unentwegt und nachdrücklich als Fortsetzung der Tradition Grimmelshausens, Goethes und Kellers … gerühmt werden, dann kann das bei gutgläubigen Lesern, zumal jüngeren, zur katastrophalen Verwirrung der Kriterien führen.

Wer wollte ihm, dem damals Noch-nicht-Papst der Literaturkritik, da widersprechen? Mit gleichem Recht, und ohne dem Sinn das Geringste hinzuzufügen oder zu nehmen, ließe sich der zitierte Passus auf die Fälle Maron, Loest und Tellkamp anwenden.

Reich-Ranicki ist kein gewöhnlicher Kritiker. Er besitzt Eigenschaften, die in diesem Berufstand eher selten sind: Geschmack, Belesenheit, theoretisches Vermögen. Er ist ein Freund der Klassik und des Realismus, und er verabscheut literarische Mangelware. Einem Mann von Geschmack und Kenntnissen muß es übel aufstoßen, wenn er fortwährend mitansehen muß, wie die Kretins des Kulturbetriebs Literaten forcieren, die schrifstellerischen Bodensatz herstellen, aber aufgrund ihrer politischen Gesinnung als Aushängeschilder staatlicher Interessen bestens geeignet sind. Merkwürdig schweigsam ist Reich-Ranicki allerdings in diesem, aktuellen Fall Marons und ihrer beiden Preisgenossen. Merkwürdig schweigsam auch in früheren Fällen schon. Zu Autoren wie Uwe Johnson oder Lutz Rathenow, deren Fall ganz ähnlich gelagert ist, habe ich ihn nie ein Schmähwort reden hören.

Maß für Maß.

  2 Responses to “Es regnet Nationalpreise”

  1. Weshalb R.-R. schweigt? Sie sagen es selbst in Ihrem Goethe-Aufsatz: weil zur klassischen Haltung auch die bewußte Resignation gehört.
    Und das ist zumindest für mich genau der Wermutstropfen der Klassik.
    Goethe schießt im ‚Wilhelm Meister‘ ja ganz meisterlich gegen die Romantik – und das kurz bevor er in den folgenden Kapiteln die Klassik meistert (also seine Haltung findet).
    Oder nehmen wir die ‚Kampagne in Frankreich‘: Sie haben vollkommen recht, was unser einer darin als leise Kritik liest, das waren seinerzeit vermutlich herbe Geschosse. Hinzukommt, daß die Aufzeichungen erst Jahrzehnte später gemacht wurden und Goethe als Zeitgenosse sich den Mund verboten hatte. Er war ja Dichter…

  2. Die Frage, ob der Dichter sich am Tagesgeschäft der Gesellschaft, in der er lebt, beteiligen soll, ist ja auch so eine, über die man sich nie einigen wird. Ich sage, er soll. Aber nicht, weil das seine Pflicht als Staatsbürger wäre o.ä., sondern weil das für sein Dichten wichtig ist. Dichtung ist die Hervorbringung einer sich an der Wirklichkeit abarbeitenden Subjektivität; und das kann man nicht aus dem Nichts zaubern, das muß man geprobt haben: im privaten Leben wie im öffentlichen.

    Es bildet ein Talent sich in der Stille, / Sich ein Charakter in dem Strom der Welt

    Das gilt auch für die Dichter; reine Kontemplation und zum Abreagieren das Tagebuch – das reicht nicht. Haltungen kann man nur im Leben proben; er muß daran teilnehmen, sich positionieren. Jeder Dichter braucht das (ausgenommen die schlechten, die brauchen bekanntlich gar nichts, als sich selbst).

    Und was für den Dichter gilt, gilt erst recht für den Kritiker. Gilt auch für einen RR.

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