Jun 252009
 

Das Große kommt meist in Verpackung des Kleinen ins Haus. Es gibt, will ich sagen, Anlaß und Ursache. Der Anlaß mag läppisch scheinen, wenn die Ursache es nicht ist, ist auch er es nicht. So denn wohl auch in jenem Problem, das mir nicht erst seit heute morgen auf die Nervenbahnen drückt. Ich nenne es einmal das Brötchen-Problem, und es läßt sich in einem Satz zusammenfassen: Es ist nicht mehr möglich, in Berlin ohne erhebliche Mühe genießbare Brötchen zu bekommen.

Wer wissen will, wie ein Problem zu beheben ist, muß wissen wollen, worin seine Ursache liegt.

I. Historisch

Ich entsinne mich einer Zeit, das war vor 1990, da gab diese eher durchschnittlichen BAKO-Waren, und es gab sogar Leute, die dergleichen regelmäßig aßen. Aber jeder normale Mensch ging zum Bäcker. Man hatte ja die Wahl. Die Brötchen kosteten hier wie dort 5 Pfennig, schmeckten bei jedem Bäcker anders, meistens gut. Nach 1990 rissen die meisten Bäcker ihre alten Öfen raus, bauten sich neue Öfen ein, kauften schlechten Teig an anstatt ihn selbst zu machen. Sie änderten die Herstellungsmethoden, einerseits um die Herstellung, die durch den erheblichen Preisanstieg der meisten Lebensmittel teurer geworden war, wieder etwas billiger zu gestalten, andererseits um die Herstellung der Brötchen zu beschleunigen. Allerdings schmeckten nun die Brötchen nicht mehr. Sie hatten keine knusprige Kruste, sondern eine trockene, die zum größeren Teil aus Luftlöchern bestand. Wenn man die Brötchen öffnete, fiel das, was wir vor 1990 Teig genannt hätten, in sich zusammen. Die Brötchen, läßt sich sagen, bestanden zu ca. 60% aus Luft. Ich brauche das nicht länger auszuführen, jeder kennt diese Brötchen, denn das sind die, die man heute allenthalben bekommt. Ja, sie haben sich gehalten, und sie schmecken überall gleich.

Jeder vermißt heute dagegen die alten Brötchen, doch sie sind nicht mehr da. So irre es klingt, doch viele Ostberliner bevorzugten in der ersten Zeit nach 1990 diese Brötchen, während es nicht weniger Westberliner gab, die eigens der alten ostdeutschen Brötchen wegen in den Ostteil fuhren, zu den paar Bäckern nämlich, die ihre Produktion nicht umgestellt hatten. Obschon aber das Geschmacksurteil in Ost und West bald ganz eindeutig war, starben die guten beinahe Bäcker aus. Heute muß man lange fahren, um gute Brötchen zu bekommen.

II. Theoretisch

In dem Land, in dem ich gegenwärtig lebe, herrscht die wahrscheinlich abstruseste Organisationsform, die die Weltgeschichte gesehen hat. Wir haben gerade wieder eine Finanzkrise; ich brauche mich da also nicht weiter zu erklären. Zwar bekommt jeder, wenn er es sich leisten kann, etwas zu essen, aber produziert werden Nahrungsmittel nicht, weil Leute etwas zu essen brauchen, sondern weil sich vermöge des Nahrungsbedürfnisses der Menschen Profit mit Nahrungsmitteln machen läßt. Die Welt steht heute Kopf. Die ursprüngliche einfache Warenproduktion tauschte Waren unterschiedlicher Qualität vermittels eines Äquivalents, dessen Qualität darin besteht, Wertausdruck zu sein. Einen Wert können Waren aber nur haben, insofern von ihrer Qualität abgesehen wird. So ist das, was die Voraussetzung für den Tausch ist – die unterschiedliche Qualität der zu tauschenden Produkte – dasjenige, was im Tauschvorgang vollkommen negiert wird. Es ist dies aber eine Notwendigkeit, solange der gesellschaftliche Arbeitsprozeß in voneinander unabhängige Privatarbeiten aufgespalten ist. Der in der Herstellung fehlende Zusammenhang muß im Nachhinein und hinter dem Rücken der Produzenten hergestellt werden. Diese Herstellung ist der Warentausch, dessen Subjekte nur ein Ziel verfolgen: Einen Gebrauchswert, den sie haben, aber nicht brauchen, einzutauchen gegen einen, den sie brauchen, aber nicht haben. Vermittelt wird dieser Vorgang durch eine spezielle Ware: das Geld.

Ich breche hier ab. Die Beschreibung ist wahr im Kern und gilt bis heute. Aber aus den Zeiten einfacher Warenproduktion sind wir längst raus. Wir haben es heute mit gigantischen Konzernen zu tun, deren einziges Ziel die Maximierung ihres Profits ist. Der Kapitalismus bewegt ungeheure Massen Geldes von A nach B, und dieses vermehrt sich dabei auf sonderbare Weise. Die Kapitalisten, die selbst am wenigsten verstehen, warum das so ist, reden gern davon, daß Geld arbeite. In Wahrheit aber arbeitet nicht Geld, sondern – heute wie damals – Menschen. Das aber ist für den Kapitalschieber vollkommen außer Betracht. Hatte der einfache Warenproduzent, wenn er seine Ware tauschte, noch ein ganz konkretes Bedürfnis nach einer ganz bestimmten Ware, so ist bei den heutigen Kapitalgeschäften vollkommen unerheblich, was dort getauscht wird. Die Qualität der Ware ist im Gegensatz zu früher nicht nur im Tauschvorgang negiert, sondern auch schon in dessen eigentlichem Zweck. Geld, um es auf den Punkt zu bringen, ist heute kein Vermittler unterschiedlicher Gebrauchswerte mehr (W – G – W), sondern der Gebrauchswert ist umgekehrt der Vermittler zwischen unterschiedlichen Geldmengen: Investion und Gewinn nämlich (G – W – G‘). Die einzelne Ware dient allein dieser Vermehrung. Da aber Geld und Geld die gleiche Qualität haben, kann der Unterschied nicht in der Qualität liegen, sondern er liegt in der Tat in der Quantität, der Vermehrung. Das heißt ins Deutsche übersetzt: nicht ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen ist die eigentliche Triebkraft des Warentauschs im Kapitalismus, sondern die Vermehrung von Geld. Und hierin eben unterscheidet er sich von einfachen Warenproduktion.

Die Welt, sagte ich oben, steht Kopf. Der Grund dafür, sage ich jetzt, liegt in erster Linie in dem eben beschrieben Vorgang.

III. Praktisch

Kommen wir wieder auf die Brötchen, die mir heute morgen nicht geschmeckt haben und deretwegen ich diesen Eintag hier verfasse. Weswegen schmecken sie nicht? Weil sie schlecht produziert werden. Kann der Bäcker keine guten Brötchen backen? Er kann überhaupt nicht backen. Er ist ein Händler, der seine Brötchen bei einer Großbäckerei kauft, und die kann nicht backen. Und wieso kann die Großbäckerei nicht backen?

Nun, der Reihe nach. Was es in Berlin kaum noch gibt, sind kleine Bäcker (einfache Warenproduzenten). Die meisten Bäcker sind Filialen einer großen Kette. Keine dieser Ketten unterscheidet sich in positiver Hinsicht von den BAKO-Waren der DDR. Die meisten machens gar viel schlechter. Der Unterschied zu damals ist nur, daß es heute ihrer mehrere sind, und die Kunden also hübsch Namen auswendig lernen, damit sie unterscheiden können, daß die Brötchen bei Kamps auf die eine Weise schlecht schmecken, während sie bei Thoben auf die andere Weise schlecht schmecken. Die Filialen jedenfalls sind das eine. Die andere Gruppe sind diejenigen Backwarenläden, die im Grunde keine Bäcker sind, sondern Händler. Die kaufen sich ihre Brötchen beim Großhändler, und ihre Leistung besteht darin, sie zu verkaufen. Es ist nun eine empirisch unerschütterte Tatsache, daß sowohl die Filialen als auch die Kleinhändler schlechte Brötchen ausliegen haben. Schlecht sind sie, sage ich, weil sie vom Großbäcker kommen. Ein Großbäcker kann nicht gut backen, weil gut backen eine Kunst ist, also Fingerspitzengefühl erfordert. Je größer die Menge ist, die gebacken wird, ja maschineller die Methode ist, mit der man es macht, umso schlechter wird das Ergebnis sein. Das versteht jeder, wie auch ein jeder einsieht, daß keine Großküche ähnlich gutes Essen herzustellen vermag wie ein einzelner Koch. Ein Bäcker braucht Erfahrung, um gute Brötchen herzustellen. Das alles kann die Backindustrie nicht leisten.

Sie kann es nicht, und sie will es nicht. Letzteres ist, eingedenk obiger Darlegungen über den Charakter kapitalistischer Produktionsweise, kein Wunder. Wenn es nur darum geht, Güter zu produzieren, um Reichtum zu akkumulieren, wenn es nur um die Maximierung der Gewinne geht, und eine sinnlose, leere Kapitalzirkulation stattfindet, wenn den Produzenten die Qualität ihrer Brötchen gleich ist, weil sie keinen handwerklichen Zugang mehr zu ihrem Produkt haben, sondern zum Bediener großer Maschinen degradiert worden sind, dann ist es kein Wunder, daß sie im Traum nicht auf die Idee kommen, auf die Qualität ihrer Produkte zu achten. Dann produziert man eben möglichst billig möglichst viel jeder Durchschnittswaren, von denen heute die Kinder schon zu glauben scheinen, daß die so schmecken müssen, wie sie schmecken.

Die Großbäcker mit ihren Filialen haben sich über die Jahre immer mehr etabliert. Sie haben durch Konzentration und Zentralisation, durch Trusts und Dumping die kleinen Bäcker, die es mit der Gewerbemiete viel schwerer haben, fast vollständig aus dem Stadtbild vertrieben. Nur sehr wenige konnten sich noch halten. Menschen nämlich neigen dazu, auch schlechte Nahrung zu verzehren, wenn sie keine Wahl haben. Und daß sie keine Wahl haben, dafür haben die Backkonzerne gesorgt.

IV. Die Lösung

Das Brötchen-Problem ist natürlich mehr als nur das Brötchen-Problem. Es steht auch nicht nur für alle Waren, deren Qualität speziell unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionweise leidet. Es steht vielmehr in einem weiteren Sinne für diejenigen Waren, die durch industrielle Großproduktion ihre Qualität verloren haben. Daß auch jenseits kapitalistischer Verhältnisse industrielle Produktion auf höchstem technischen Niveau und von großem Umfang stattfinden muß, ist unbestritten. Unbestritten ist aber auch, daß die Güte der Produkte – und nicht nur die Weise ihres Zustandekommens und der Umfang der Produktion – hinreichend sein muß.

Eine Zukunft ohne Lebensqualität ist schlichtweg unwählbar. Die Abschaffung von Hunger und Armut, die technisch gesehen längst möglich ist, setzt nicht die Abschaffung von Reichtum voraus. Reichtum wird und soll es geben, aber er darf keine relationale Größe sein, die sich erst in Bezug auf die Armut anderer Leute bestimmt, sondern er definiert sich als bedarfsdeckende Reproduzierbarkeit aller reproduzierbaren Güter. Doch Reichtum zeigt sich nicht allein in der Menge, sondern auch in der Güte des Produzierten. Es gibt Güter, die man besser handwerklich produziert, weil industrielle Produktion hier nicht annähernd eine gleichermaßen hohe Qualität herzustellen imstande wäre wie qualifizierte, ungeteilte Arbeit.

Was das Produzieren angeht, haben wir, um genau zu sein, drei Sorten von Gütern. Zum ersten diejenigen Güter, die in Großproduktion herstellbar sind, und deren Güte darunter nicht leidet, teils sogar verbessert wird. (Was die meisten sind). Zweitens diejenigen Güter, deren Herstellung in Großproduktion nicht möglich ist. (Hierin fallen z.B. alle möglichen Kunstwerke.) Und drittens die Güter, deren Herstellung in Großproduktion zwar möglich, aber nicht erstrebenswert ist. (Hierzu zählen inbesondere die handwerklichen Güter, mitsam unseren Brötchen). Worauf es ankommt, ist, für jede dieser Gruppen von Gütern die beste Lösung zu finden, für jede also eine eigene. Wie man das änders kann, ist mindestens bekannt, wenn nicht gar längst erprobt.

Es sieht aber zur Zeit nicht so aus, als stünde ein Wetterwechsel ins Haus. Was wir haben, ist anhaltend schlechter werdendes Wetter. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn man weiß, daß man vermutlich einen beträchtlichen Teil seines Lebens damit zubringen wird, darauf zu warten, daß die Weltvernunft, die sich offenbar in ihrem Zimmer eingeschlossen hat, wieder unter die Menschen geht.

  2 Responses to “Leicht zu verstehen, leicht zu lösen, schwer zu machen”

  1. Gruß vorweg
    Eine sozialistisch planwirtschaftlich geleitete vergesellschaftete Großproduktion schafft auch Schmackhaftes Knuspriges, deß bin ich ziemlich überzeugt.
    Bereits die kapitalistischen Leiter von Betrieben nutzen Verbesserungsvorschläge von Leuten mit Kenntnissen- wobei der Großteil verschlossen bleibt, da Abfall und Dreck das Brot verbilligt, damit heben Sie das schändliche Dauern und Sich- Behauptenwollen (in der Vernichtung des Konkurrenten) des Kapitalverhältnisses richtig und gut hervor und das Dulden dieser Schmach durch wartend Klagende –

    „Motzen erwünscht“ (übers verdorbne Linsengericht) ist , erinner ich mich, eine Haltung bei der Organisierung von Fasnachtsfeiern durch Sprecher bei der BUWE und um von Notwendigkeiten und Bedürfnissen der Schaffer abzulenken, z.B. Tetanusspritzen (alle 5 Jahre nötig) für Bodenmeliorierer.
    Dauernd wird handwerkelnder Denk- und Arbeitsstil gefördert.
    „Haja ich müßt dann ja jeden Tag eine Tetanusspritze holen“, und der Kollege wird verzärtelt geheißen.
    Wohlgemerkt ich urteile über das Legen von gekonntem Handwerk und kunstvollem Können als ein Destruktives, aber dem Vorspiegeln des goldenen Bodens bereits Eigentümliches .

  2. Es gibt viele Bereiche, in denen die Großproduktion eine Verbesserung bedeutet. Aber ich denke, wie ich auch geschrieben habe, daß Großproduktion in manchen Bereichen unvermeidlich dazu führt, daß die Produkte schlechtere Qualität bekommen. Das hängt zum einen damit zusammen, daß die ungeteilte Arbeit im Handwerk ein ganz anderes Verhältnis des Produzenten zum Produkt schafft. Auf den freien Willen der Menschen und ihren Fleiß kann sich nicht verlassen; menschliche Absichten sind so beständig wie das Wetter. Und der beste Weg, einen Produzenten zur Leistung zu bringen, ist seine materielle Interessiertheit. Diese widerspräche keineswegs dem planwirtschaftlichen Zusammenhang. Produzent und Staat gingen dann eine Art Vertragsverhältnis ein; die Tätigkeit des Handwerkers wäre gebunden an bestimmte Vorgaben, innerhalb der er aber seine Freiheiten hätte, und sie wäre gebunden an Qualitätsbeweise, indem etwa die Möglichkeit bestünde, daß die Konsumenten zwischen verschiedenen Anbietern wählen können. Sie wählen dann logischerweise mehrheitlich den mit den besseren Produkten, was den anderen zwingt, seine Arbeit zu intensivieren und zu verbessern.

    Zum anderen ist es aber auch ganz einfach ein technisches Problem. Eine Großküche wird nie so gute Gerichte kochen können, wie ein hingebungsvoller Koch der, ausgestattet mit Fähigkeiten, ein Gericht zubereitet. Gleiches gilt für die Brötchen. Die BAKO-Waren wurden in großen Hallen zusammengekleistert. Nicht einmal, wenn alle BAKO-Mitarbeiter mit ganzem Elan dabeigewesen wären und über sehr gute Fähigkeiten verfügt hätten, wäre es möglich gewesen, die Qualität der Erzeugnisse wesentlich zu steigern, weil eine Kalkulation von Zutaten in diesen Ausmaßen im Grunde nicht zu bewältigen ist. Zudem wird der Geschmack vereinheitlicht: BAKO-Waren schmeckten immer gleich, und das wäre nicht einmal dann schön gewesen, wenn sie insgesamt etwas besser geschmeckt hätten. Das nächste Problem war die Distribution: Bis die Brötchen und Brote ausgeliefert waren, waren sie hart und kalt. Man konnte diese Produkte geschmacklich nicht von den abgepackten Backwaren unterscheiden.

    Planwirtschaft ist ein gutes Konzept, das die Wirtschaft – vorausgesetzt, es ist eine kompetente und gut orientierte Plankommission am Werk – vor vielen Fallen und Krisenzuständen bewahren kann. Die Planung macht mithin die Produktion menschlicher. Man kann Zustände schaffen, in denen der wirtschaftliche Alltag kein nackter Überlebenskampf mehr ist, in denen Lohnentwicklung nach oben, aber nicht nach unten Unterschiede macht. Die Vorteile bewußt geplanter Abläufe sind zahllos; ich brauche das hier nicht alles aufzuzählen. Und trotzdem kommt es darauf an, Planung nicht als Selbstzweck zu verstehen. Es gibt einen Punkt, an dem die Wirtschaft über Gebühr zentralisiert, vereinheitlicht und verwaltet ist, so daß das Interesse und die Eigenverantwortung der Produzenten absinkt und somit die Qualität der Erzeugnisse und überhaupt die Produktivkraftentwicklung leidet.

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