Apr 102010
 

Es begann eigentlich ganz harmlos. Am letzten Tag der Buchmesse brachte ich die Zeit, die mir bis zum Abend blieb, auf die Weise rum, daß ich mir das von Leipzig ansah, wofür allein es mit Recht berühmt ist: die Werke seiner bildenden Künstler.

Leipzig selbst, man kennt es, reizt kaum zum Verweilen. Selbst wenn man die merkwürdig zielgerichtete Tristesse des Stadtbilds und die puritanische Geschäftigkeit ihrer Bewohner ignoriert, bleibt noch immer präsent, daß diese Stadt der Schoß der deutschen Misere und Unvernunft ist. Ich habe Leipzig einmal die Hauptstadt der romantischen Bewegung genannt, worauf mir die Städtenamen Berlin, Jena und Heidelberg entgegenflogen. Ich leugne auch deren Eignung für diesen Titel nicht, konnte aber mit dem Verweis auf die Bananenrevolution von 1989 und das antibonapartistische Happening von 1813 meine Widerredner zum Schweigen bringen. Volksfeste wider die Gesittung – gibt es romantischeres?

Leipzigs Künstler, sagte ich. Gewiß: auch ihnen haftet hier und da das Leipzighafte an. So habe ich mir etwa nicht erspart, im Vorbeigehen Mattheuers abgeschmackten Jahrhundertschritt einer Betrachtung zu unterziehen. Da stand er, dummdreist, dröhnend und häßlich – Ausdruck der einfältigsten aller gesellschaftlichen Anschauungen, der Totalitarismustheorie, dabei ganz Volkstümlichkeit, ganz Zeitgeist und wirklich nichts drüber. Dergestalt von ihrer Bedeutung angewidert, blieb mir im Vorbeigehen kaum Zeit, auch die ästhetische Unzulänglichkeit der Skulptur mit einiger Anerkennung zu würdigen. Wenn Mattheuer ein Schwachkopf ist, aber man muß anerkennen: Dieses Kunstwerk ist nicht einfach nicht gekonnt, es ist zielgerichtet schlecht. Da ist keine Willkür und kein Zufall in der künstlerischen Ausführung. Kein Unbegabter bekäme dergleichen hin, der Urheber hat sich seine Suche nach dem Häßlichen offenbar reichlich sauer werden lassen; diese Wertlosigkeit ist erarbeitet. Es mag ja sein, daß Geschmack etwas ist, das durch Gewohnheit erzeugt ist, doch auch das Fehlen von Geschmack muß – die gesamte Moderne beweist es – hart erarbeitet werden.

Besser als jenes vollständige Fehlen von Geschmack ist schlechter Geschmack. Nur fehlender Geschmack führt zur Häßlichkeit. Schlechter Geschmack ist schlecht temperierte Schönheit, damit freilich auf andere Art ein Verlust an Schönheit. Der Vorteil von Kitsch und Manierismus gegenüber der modernen Ödheit ist, daß sie Ekel erregen, indem sie ein Zuviel an Schönheit zeigen. Ein Kunstwerk hat Form, und Form einer Sache bedeutet, die Teile der Sache unterschiedlich zu gewichten. Gleichheit erzeugt keine Anordnung, keine Form, folglich keine Schönhheit. Bekanntlich versetzt das Licht uns in die Lage, einen Gegenstand wahrnehmen zu können. Ein Gegenstand aber, an dem keine Schatten sich finden, läßt sich ebenso schlecht wahrnehmen wie einer, der im Dunkel liegt. Wir sind froh, daß der Gegenstand erhellt ist, was ihn jedenfalls über alle Gegenstände erhebt, die im Dunkel liegen, aber wir hätten ihn dennoch ganz gern gesehen. Ich bin noch in Leipzig und erraten: Ich rede von Max Klinger und seinem Beethoven.

Ganz so, als hätten die Leipziger am Ende doch ein Gespür für Rangfragen, haben sie den Jahrhundertschritt im Freien aufgestellt, während der Beethoven im Museum der bildenden Künste steht, wo es warm und trocken ist. Dort wird – anders als bei Mattheuer – erfahrbar, was es bedeutet, wenn aus einem toten Stück Naturstoff ein Stück lebendiger Menschlichkeit wird. Beethoven sitzt, die Beine übereinander geschlagen, den Oberkörper leicht geneigt, das Kinn nach vorn geschoben. Der Künstler gibt seinem Gegenstand auf die Art etwas ironisch-trotzig-entschlossenes, dem eine gewisse Kauzigkeit nicht fehlt. Hier ward Stein Haltung. Auf geschmackvolle Weise? Das Monument ist brillant gearbeitet; das Gesicht, das Haupthaar, das fallende Gewand zeugen von außerordentlichem bildnerischen Können. Das Kunstwerk erzeugt Schönheit und eine eigentümliche Faszination. Ohne Frage, es ist Kitsch, wenn auch Jahrhundertkitsch. Klingers Beethoven zeugt von einem fehlenden Gefühl für Komposition. Der Künstler verwendet sechs Stoffe, sofern ich richtig gezählt habe. Diese kleben mehr aneinander, als daß sie zu einer wirklichen Einheit kämen. Sie sind für sich schön, sie sind es nicht zusammen. Und sie erzeugen auf die Art ein Zuviel an Schönheit, das der Schönheit des Ganzen einiges nimmt. Klingers Beethoven ist durchaus, was Schlegel versprach und Wagner hielt: ein Gesamtkunstwerk.

Zugegeben, die Moderne gründet in der Romantik. Was die Theorie angeht, sowohl die ästhetische als auch die weltanschauliche, sind beide Strömungen unverkennbar verwandt. Was die künstlerische Praxis betrifft, ist die Romantik sehr viel erträglicher als die ihre Nachläuferin. Mattheuer – eigentlich, ich weiß das, kein Modernist – hat in seinem Jahrhundertschritt nicht nur inhaltlich, sondern auch formal die geistige Leere des 20. Jahrhunderts ausgedrückt. Klinger wenigstens vermochte noch, eine Art Schönheit herzustellen und diese mit einer Art Inhalt zu füllen. Es ist eine Freude, die Arbeit eines Künstlers zu sehen, der seine Mittel einsetzt und nicht mit Wirkung geizt. Wenn man von der Moderne auf die Romantik zurückgeht, wird sie erträglicher. Man sieht dann nicht, was sie nicht mehr, sondern sieht, was sie immer noch ist. Klinger zu sehen, nachdem man die Moderne ertragen mußte, das ist, als erholte man sich mit einem Grabbe-Drama von der Lektüre Becketts, als spülte man sich mit Wagner die Ohren, nachdem man eine Stunde Schönberg hat ertragen müssen. Es ist, will ich sagen, eine Art Rückkehr zum Menschlichen aus unserer trostlosen Zeit, deren hervorstechendste Eigenschaft die zu sein scheint, daß sie aufs Haar der Stadt Leipzig gleicht.

  One Response to “Weltgeist sieht Leipzsch: Der Jahrhundertkitsch”

  1. […] habe ich vermocht, mich über den Wolf Schneider der Malerei, Wolfgang Mattheuer, gar tüchtig zu echauffieren. Der Text, der nun dabei herauskam, war – ich muß es gestehen – eigentlich eine Digression. […]

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