Okt 152014
 

Ich habe Enzensbergers »Schreckens Männer« gelesen. Er versucht, einen begrifflichen Zusammenhang zwischen dem westeuropäischen Amokläufer und dem islamistischen Attentäter herzustellen und findet den in der Figur des radikalen Verlierers. Das ist weder besonders neu (auch 2005 nicht, als der Essay erschien) noch gut ausgeführt. Der Text ist, ehrlich zu sein, erstaunlich schlecht organisiert und bleibt weit hinter dem Niveau der glanzvollen Stücke in Sammlungen wie »Mittelmaß und Wahn« oder »Politische Brosamen« zurück. Natürlich ist Enzensberger immer etwas brillant, seine Stärke von jeher, Psychologisches anschaulich zu machen; er kann Theorie konkret erzählen. Und das funktioniert auch dann gut, wenn es auf der begrifflichen Ebene nicht funktioniert.

Der erste Teil des Essays, in dem es um die Typologie des radikalen Verlierers geht, ist beinahe lustlos dahin geschrieben und kann es mit dem zweiten Teil, in dem Enzensberger sich der islamistischen Ideologie und Terrorpraxis widmet, nicht aufnehmen. Wenn man zwei Phänomene in einem Typus zusammenbringt, muß man einiges geben, um die Sache herum abzurunden. Man muß das Gemeinsame im Verschiedenen herausarbeiten, möglichen Einwänden begegnen, aber zugleich das Verschiedene sinnfällig machen, denn nur, wenn man die Differenz sichtbar macht, ist es möglich, das Gemeinsame hervortreten zu lassen. Das verspricht die Schrift und hält es nicht. Folglich muß der Autor immer wieder auf die Figur des Verlierers zurückkommen, sie drehen und drehen in der Hoffnung, daß sich etwas Neues ergebe.

Dabei wäre gerade die Psychologie interessant gewesen. Anstatt mit wenig überzeugenden Argumenten das Vorhandensein eines Selbsterhaltungstriebs generell abzustreiten (wodurch ja auch die Figur des sich selbst gleich mit richtenden Amokläufers oder Attentäters an Besonderheit verliert), hätte nachvollzogen werden können, welche Mechanismen besorgen, daß die Selbsterhaltung außer Kraft gesetzt wird. Wäre Enzensberger aber dieser Spur gefolgt, würde sich alsbald abgezeichnet haben, daß die Mechanismen des gesellschaftlich isolierten Amokläufers und die des ideologisch getrimmten Selbstmordattentäters recht verschieden sind.

Dennoch bleibt diese Flugschrift in ihren Einzelheiten schön zu lesen und wirft hier und da ein erhellendes Licht auf Zusammenhänge, die man schon oft gesehen, aber so noch nie betrachtet hat. Unverzichtbar ist die Diagnose des Islamismus als eine Bewegung, die aus der narzißtischen Kränkung durch die evidente Überlegenheit des Westens ihre Nahrung zieht, die mißbilligte Lage der Zurückgesetztheit aber nicht – wie z.B. das heutige China – als Herausforderung annimmt, den Rückstand aufzuholen, sondern als Anlaß, den Verliererstatus zu verewigen und die ganze Welt im Terrorakt auf das eigene Niveau herabzuziehen. Auch das ist nicht wirklich neu, scheint sich aber in Anbetracht der meisten Äußerungen zum Islamismus bis heute nicht wirklich herumgesprochen zu haben.

Sorry, the comment form is closed at this time.