Sep 112017
 

Fragen, die die AfD sich stellt

Zu einer Tendenz, dernach unerfreulich unwenige Linke nach rechts streben, weil jeder, der auch »Brot und Arbeit« schreit, unbedingt ein Linker, mindest ein unbewusster, sein müsse, gehört auch das Streben von Rechten nach links. Man kann nur kaufen, was auch im Angebot ist. Wie aber kommt es, dass ein Linker, der sich nach rechts anschlussfähig macht, aufhört, ein Linker zu sein, während die Bestrebungen zum selben Bündnis von rechts her stets ihren fängerischen Charakter behalten? Wieso fällt immer links auf rechts rein, und nicht umgekehrt? Ich denke nicht, dass auf der Rechten das gewieftere Personal sitzt oder das diszipliniertere. Ich denke, es liegt an dem, was Linkssein und Rechtssein unabhängig von ihrer gegenläufigen Tendenz unterscheidet.

Inhalte sind auf der rechten Seite fast gleich. Es geht eigentlich selten um mehr als Stimmung. Um völkische Stimmung in diesem Fall. Wenn die vorliegt, ist der Rest verhandelbar. Die Rechte benötigt kaum Ideologie (verstanden als System von aufeinander abgestimmten Ansichten). Man kann völkisch sein auch in linkem Vokabular. Auf der linken Seite dagegen sind Inhalte nie egal. Ob ich etwas Reform will oder Sozialismus oder gar Kommunismus, und wenn ich das will, was konkret ich darunter jeweils verstehe – das trennt eher, als es eint, so dass es zum Alltag der linken Milieus gehört, dass sehr verschiedene Leute mit identischen Wörtern von sehr verschiedenen Begriffen reden und sich am Ende stets von neuem wundern, dass sie nicht miteinander können. Linke sind gewiss nicht frei von Stimmungen, aber sie sind das bloß, weil sie im Nebenjob auch noch Menschen sind. In ihren Zielen und Kalkülen liegen die wesentlichen Differenzen. Es ist gut, wenn die erkannt und ausgefochten werden. Die besonders bescheuerten Linken erkennt man daran, dass sie glauben, Spaltungen werden von außen in die Bewegung hineingetragen. Spaltungen sind der Vollzug längst vorliegender Bewegungen.

Dass diese Differenzen so wenig vermittelbar sind, obgleich die meisten Linken nichts mehr wünschen als endlich all den Streit zwischen ihnen zu überwinden, hat zu tun mit dem Verhältnis der Linken zur Utopie. Die Linke ist die Masse, die sich zur Idee der Vergesellschaftung verhält. Und wie angedeutet, sie kann sich sozialdemokratisch, utopistisch oder sozialistisch verhalten. Sie kann, mit anderen Worten, an die sozialen Möglichkeiten des Kapitalismus glauben, kann das Ideal einer umfassenden, alles Bürgerliche restlos absorbierenden Gemeinschaft verfolgen oder aber auf eine sittliche Ordnung setzen, die in ihrer Ruhe Transformation besorgt, als Vorgang der Vergesellschaftung, der allerdings nie ganz abgeschlossen sein kann und also Elemente des Bürgerlichen nicht einfach negiert, sondern dort, wo es sinnvoll ist, aufnimmt und fortführt. Zwischen diesen drei groben Spielarten sind tiefe Schluchten, und innerhalb der Spielarten sind wiederum Untiefen, die selten überbrückbar sind. Vermeintlich geringfügige Änderungen des Standpunkts betreffen also nicht bloß die plane Bewegung. Ein Schritt nach rechts oder links kann mit einem Schlag einen ganzen Abgrund zwischen zwei Genossen bringen, die gestern abend noch fröhlich zum Ernst-Busch-Karaoke verabredet waren.

Dieses Problem hat die Rechte nicht. Wo ein einziges Gefühl der gemeinsamen Abscheu eine organische Gemeinschaft erst hervorbringt, geht allenfalls noch zu streiten, gegen wen sich die Abscheu konkret richten soll. Irgendwen muss es treffen, denn das Wir kann sich nur gegen eine ausgesonderte Gruppe herstellen. Es selbst aber ist unscharf und tut gut daran, es zu bleiben. Die Pointe bei Franz Neumann ist, dass er den Nationalsozialismus als Gebilde fasst, das Staat im Grunde nicht genannt werden kann, weil in ihm tausend Instanzen und Gruppierungen in einem fortwährenden Kampf gegeneinander liegen, der sich als dauerhafte Terrorherrschaft des Alltags darstellt. Dieser Terror ist das Gegenteil der etatistischen Idee, die den ganzen Zweck des Staats als Einrichtung und Garantie von Ordnung, Berechenbarkeit, Vergleichbarkeit und Sicherheit ausdrückt. Ein Staat, der aktiv etwa die Menge an Terror, Angst, Willkür und Chaos erzeugt, die auch ohne ihn geschähe, dieselbe Menge oder eine größere vielleicht, erfüllt seinen Zweck nicht. Wo Chaos real wird, wo Willkür anschaulich, das Partikulare universell, dort lässt sich sagen, dass das unscharfe Wir der völkischen Bewegung scharf geworden ist. Das behemothische Staatswesen ist die lebendige Gestalt der völkischen Stimmung.

Die politischen Differenzen machen auf der rechten Seite dort, wo sie an der Macht ist, den alltäglichen Terror. Wo sie noch politische Bewegung ist, machen sie gar nichts. Daher hat das Angebot der Rechten an Linke, doch ein wenig bündnisbereiter zu sein, die vielberedete Aufforderung zur Querfront – und das wird wird wirklich viel häufiger benutzt als angebracht wäre –, nie der Rechten und immer nur der Linken geschadet. Da die Linke eine kollektive Angelegenheit ist, es also um große Menschenmengen geht, darf man damit rechnen, dass immer eine bemerkbare Menge aus ihrer Mitte bereit ist, das Angebot der Rechten zur Abschaffung der Linken durch Linke bereitwillig anzunehmen. Zumeist ohne irgendwelche Bedenken, gelegentlich mit einer als Wachsamkeit missverstandener Trottelei.

Und hier passiert der Bruch, der passieren soll. Utopie ist nicht gleitend. Es gibt nicht bloß etwas Kommunismus oder bloß etwas Sozialismus. Die Einrichtung eines neues Staatswesens ist ein Quantensprung. Das Ziel wird erreicht, ohne den Raum zwischen Start und Ziel zurückzulegen. Es bedarf einer ebenso gründlichen wie umfassenden Reformierung der gesellschaftlichen Verkehrswege, einer Änderung, gegen die eine Verfassungsreform wie ein dürftiger Anstrich aussähe. Nicht nur das Recht der Gesellschaft wäre betroffen, auch deren Abläufe. Vergesellschaftung entsteht nicht, indem man einen Eintrag im Grundbuch ändert. Sie entsteht als reales Verhältnis, als Kooperation gesellschaftlicher Elemente, als Planung (worunter allerdings umfassende oder solche verstanden werden kann, die Raum für Variablen lässt). All das braucht einen Grund, auf dem es stehen, und einen Aparat, durch den es funktionieren kann. Sowas baut man nicht heute hier, morgen dort. Es mag Stadien der Transformation geben, aber auch sie sind ein Moment in einem Prozess, der bewusst und systematisch umgesetzt ist. Und während der Prozess selbst seine Zeit fordern wird, ist der Weg hin zum Prozess nur über einen Sprung zu erreichen. Dieses Ziel, das der eigentliche Anfang ist, ist alles, und der Weg dorthin gar nichts. So klingt das, wenn man Bernstein vom Kaopf auf die Füße stellt.

Wo alles gleitend wird und wo sie im Kleinen anfangen soll, hat die Utopie verloren. Auch deswegen kann die völkische Bewegung nichts besitzen, was sich Utopie nennen ließe. Ihr Entwurf ist das Negativ des Gegenwärtigen. Der etwas beschissenere Kapitalismus. Und häufig genug der sehr viel beschissenere.

Wenn also die AfD im Wahlkampf den Kommunisten Thälmann für sich vereinnahmt, dann ist das nicht bloß aus Gründen der Methode lächerlich. Das ohnenhin. Denn der auf dem Wahlplakat eines Daniel Schneider umhersiechende Gedanke »Ernst Thälmann würde AfD wählen« ist etwa so sinnvoll wie die Frage, ob Shakespeare heute ein Konto bei Instagram hätte. Wer das beantwortet, muss den Gegenstand, um den es geht, von dem trennen, was ihn maßgeblich bestimmt, von seinem zeitlichen Umfeld. Und wenn man das einmal getan hat, kann man praktisch jede Seite an diesem nunmehr neu erfundenen Gegenstand hervorheben oder abschwächen, bis man das Ergebnis erzielt, das man gern hätte.

Doch auch ohnedies ließe sich eine solche Verbindung nur mittels ordinärer Willkür herstellen. Thälmanns nationale Rhetorik, die davon handelt, dass er das deutsche Volk, dem er einmal angehört, liebe, hat mit dem angstbesetzten Getrommel der völkischen Bewegung nichts zu tun. Man findet solche Sätze bei allen Politikern dieser Zeit, bis hin zu Walter Rathenau, und noch Georg Elser hat, wenn ich richtig erinnere, sein Attentat auf Hitler nicht ohne Bezug zur Nation begründet. Es ist gewiss keine Gipfelleistung, wenn einer das Genie Goethes als Eigenschaft der Trottel ausgibt, die ihn umgaben und zufällig dieselbe Sprache sprachen. Aber es bleibt doch ein Unterschied zwischen einer solchen Zuschreibung und dem antisemitischen Geschrei einer Ruth Fischer.

Die nationale Ideologie wird dadurch, dass sie nicht über Ausgrenzung hergestellt ist, kein Stück gescheiter, aber weniger gefährlich. Sie kommt dann, wie die französische, über den vorhandenen oder entworfenen Staat zustande. Wo Nationalismus an die Nation gebunden wird, die sich erst durch den vorhandenen Staat herstellt, gibt es keinen Grund, zwischen Volk und Bevölkerung zu unterscheiden, kein Blut oder andere Merkmale, die zum Maßstab dafür werden, ob einer dazu gehört oder nicht. Der braucht dann nicht mehr als einen Pass. Wo die Nationalbewegung wesentlich von unten kommt, aus dem Volk selbst, als Widerstand womöglich gegen eine Besatzung oder als Gefühl einer geschichtlichen Verspätung, die aufgeholt werden müsse, dort ist das romantische Volksgefühl und also das Biotop des Völkischen. Man erkennt dieses Gefühl an der Hektik, mit er es artikuliert wird. Völkische Rhetoriker können nicht mit Ruhe vom Gegenstand ihrer Zuneigung reden. Das deutsche Volk geht für sie nur als bedrohtes zu denken.

Diese Aufgeladenheit mit Irrationalität, die Hektik im Gedanklichen, der daraus folgende Vernichtungswunsch gegen das Andere fehlt bei Thälmann völlig. Er appelliert an ein Volk, das eigentlich bloß die Bevölkerung ist. Er sagt dort nichts weiter als dass niemand, soweit es ihn, Thälmann, betrifft, vom Kommunismus ausgeschlossen werden soll. Es ist populistisch oder ein bißchen naiv oder beides, und sicher nichts, das einem Kommunisten zum Hauptgedanken werden sollte – völkisch oder romantisch ist es nicht.

Ein sicheres Anzeichen, wie schief die Zuschreibung der AfD-Plakate ist, mag man dann auch im hämischen Beifall erkennen, den sie von Vertretern aller möglichen bürgerlichen Milieus (liberaler, konservativer, demokratischer, ideologiekritischer) erhalten hat. Man ist sich einig mit der AfD, nicht aus Sympathie, sondern weil zwei verschiedene Feinde zusammenzubringen der ewige Traum der Denkfaulen ist. Weil ich eins bin, sind auch meine Feinde eins. Diesen Satz habe ich, wenn ich nicht irre, schon einmal geschrieben, und meine, dass er eines der beliebtesten Bauteile politischer Irrationalität ist. Er beginnt schon mit einer Lüge, denn diejenigen, die ihn glauben, tun das, gerade weil sie ihre politische Disparität fühlen, die sich daraus ergibt, dass sie keinen Gedanken zuende denken können, bei dem sie mehr als keinmal um die Ecken müssen. Dass sie keinen Begriff von sich selbst haben, wird ausgeglichen dadurch, dass das Andere als Immergleiches gefasst wird. Es gibt nicht Feinde mit verschiedenen Gründen, es gibt nur den Feind, und jeder der von ihnen abweicht, steckt mit ihm unter einer Decke.

Sie spüren zudem die Verwandtschaft, merken, dass die völkische Bewegung nichts anderes ist als eine weitere mögliche Position innerhalb des iedologischen Feldes, das von der Gegenwart des real existierenden Kapitalismus mit seinen politischen Verkehrsformen aufgespannt wird. Wie auch bei der Totalitarismusthese ist hier das ursprüngliche Motiv die Scham der Gesellschaft zu wissen, dass Faschismus und Nationalisozialismus unmittelbar aus ihr hervorgehen und nie ihren Nexus verlassen haben. Diese Scham sucht nach Möglichkeiten, das genuin bürgerliche Projekt des NS-Staats mitsamt seinen Völkermorden und Vernichtungskriegen der anderen Seite, der kommunistischen, irgend zuzuschlagen. Als ob die nicht selbst genug hässliche Flecken hätte. Aber darum geht es gar nicht. Aller Irrsinn im Politischen beginnt nicht dort, wo einer seinen Feind hässlicher macht, als der ist. Das ist gewöhnlich. Er beginnt, wo man über die eigene Hässlichkeit hinwegtäuschen will. Wo das Eigene als Gut-und-nur-gut gesetzt wird.

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