Nov 202009
 

Da hat doch Bundesdingens Horst Köhler zum 20. Jahrestag des Mauerfalls in seiner Maison de plaisance Bellevue eine Veranstaltung für „Gegner des SED-Unrechts“ ausrichten lassen, auf der zwölf Bundesverdienstkreuze an zwölf Bürgerrechtler der DDR-Zeit verschenkt wurden. 12 Kreuze an 12 Bürgerrechtler – offenbar war beides im Dutzend billiger.

Für den Eklat des Abends sorgte Stephan Krawczyk, der – nachdem er zusammen mit Freya Klier seine drittklassige Schmierlyrik vorgetragen hatte – gebeten wurde, die Nationalhymne anzustimmen, und dies tat, indem er sogleich die seit der Nazizeit zu Recht gebannte erste Strophe der Hymne skandierte. Er soll verwundert in die Menge geblickt haben, als er die Tatsache gewahr wurde, daß die übrigen Anwesenden Deutschland nicht von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt sich erstrecken lassen wollten. Und Horst Köhler soll sich dann geräuspert und die Worte gesprochen haben: „Die dritte Strophe bitte.“ Continue reading »

Sep 212009
 

In der jungen Welt von heute lese ich einen Satz, der die Achtundsechziger Bewegung beschreibt, ohne ihr die mindeste Karikatur anzutun, worin, will ich sagen, diese Bewegung und ihre politische Funktion vollständig aufgeht und doch in ihrem ganzen Elend und ihrer ganzen Läppischkeit festgehalten ist:

[Joseph] Fischer ist einer aus der Garde der Revolutionären Kämpfer in Frankfurt am Main von 1968 und seither politisch festgelegt. Wie die Mehrheit seiner Mitläufer war er für jede Kritik am Kapitalismus zu haben, wenn sie so dämlich war, daß der Kapitalismus im Vergleich zu ihr gut ausschaute.

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Aug 052009
 

Mohammed war ein Prophet,
Der vom Fußballspielen nichts versteht.
Doch aus all der schönen Farbenpracht
Hat er sich das Blau und Weiße ausgedacht.

Wie der Kundige umgehend an der dilettantischen Handhabung des Metrums, der hemdsärmeligen Gedankenführung und der ungechlachten Wortwahl erkannt haben dürfte, handelt es sich hierbei um eine Stelle aus der Vereinshymmne des Fußballclubs Schalke 04. Unkundigen sei erklärt, daß Schalke 04 so etwas wie den Bodensatz der deutschen Fußballkultur darstellt. Der durchschnittliche Schalkefan spricht kein Hochdeutsch, verfügt (sofern dies Verbum in diesem Zusammenhang anbebracht ist) über einen etwa kniehohen Bildungsstand und trägt jeden Samstag eine Aldi-Tüte (blau-weiß) voller Bierdosen in ein Ding, das er Schalke-Arena nennt, woselbst er Continue reading »

Jul 282009
 

I. Einleitung

Die Versuchung, »Die Gräfin Pappel«[1] autobiographisch zu lesen, ist groß. Wenn ihr im folgenden widerstanden werden soll, dann nicht schlechthin, sondern in einer bestimmten Hinsicht. Die »Gräfin Pappel« ist kein Schlüsselroman, sie ist, was mehr ist, ein Märchen. Zwar: Sie wurde 1992, also in der letzten Lebensphase ihres Verfassers gedichtet, und die Lebensgeschichte ihres Helden weist in der Tat zu viele Parallelen zur Lebensgeschichte ihres Verfassers auf, als daß man das Autobiographische bei einer Deutung außer acht lassen könnte: Wie Philibert hat Peter Hacks in jungen Jahren die Welt, in der er aufwuchs, verlassen, wie diesem wurde ihm die Welt, in die er fortging, zerstört, wie dieser weigerte er sich, nach der Zerstörung seiner Wahlheimat in der neuen, d.h. in der alten Welt anzukommen. Die Fabel, könnte man meinen, bildet eins zu eins die Biographie des Dichters Peter Hacks ab. Und auch in den Einzelheiten findet sich Continue reading »

Jul 082009
 

Ohne Zweifel ist Opportunismus einfach ein anderes Wort für Pestilenz. Es gibt wohl keine politische Haltung, die weniger zu geben hat und zugleich doch so viel nimmt wie diejenige, die in jedweder gesellschaftlichen Lage allein darauf abzielt, dieser Lage – wie scheußlich oder indiskutabel oder auch änderbar die immer sei – möglichst gerecht zu werden, die das menschliche Individuum bedingungslos der Außenwelt unterwirft und zum bloßen Medium wirklicher oder vermeintlicher Notwendigkeiten macht.

Die opportunistische Haltung ist so abscheulich, daß praktisch niemand, und am wenigsten passionierte Opportunisten selbst, sich zu ihr bekennen. Und da der Opportunismus einmal einen so schlechten Ruf hat, wundert es kaum, daß gedankliche und charakterliche Konsequenz, als welche das konträre Gegenstück zum Opportunismus ist, gemeinhin in gutem Ruf steht.

Auch ich meine, dieser gute Ruf besteht zu Recht. Dennoch will mir durchaus nicht einleuchten, daß man jeden Menschen, der Konsequenz zu seinen Eigenschaften zählen kann, mit demselben guten Ruf versehen soll wie diese Eigenschaft selbst. Und warum das so ist, Continue reading »

Jun 212009
 

Sappho ist eine lesbische Dichterin im doppelten Sinne des Wortes. Sie lebte auf Lesbos, schrieb im lesbisch-aiolischen Dialekt (dem ungemütlichsten von allen), und sie pflegte sexuelle Neigungen zu Frauen. Gut möglich, daß sie bisexuell war; heterosexuell war sie nicht.

Heute weiß das jeder. Zu gut passen die persönlichen Beziehungen, die in Sapphos Gedichten gespiegelt werden, in den kulturellen Zusammenhang der Initiationsriten, die es eben nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen gab, und für die gleichgeschlechtliche Bindungen nicht untypisch zu sein scheinen. Continue reading »