Mrz 022019
 

Der Ausdruck ›Etatistische Splitter‹ verkörpert selbst jenen Notstand, gegen den er angeht. Insofern der Gedanke der Staatlichkeit weit über das einfache Bedürfnis nach Sicherheit, Wärme oder Geborgenheit hinausreicht (das bereits in der Familie ganz erfüllt werden kann) und vielmehr die Idee setzt, dass es ein Ganzes gibt, demgegenüber man sich verhalten muss, ob man es anerkenne oder nicht, ob man ihm beifalle oder nicht, steckt im Etatismus stets der Anspruch, dieses Ganze zu denken. Und damit hat er zwei Seiten. Continue reading »

Feb 072019
 

»Drachenzähmen leicht gemacht 3: Die geheime Welt«

Die unbestreitbare Schönheit dieses Films konzediert, scheint nicht verkehrt, anstelle einer Rezension die gesamte Reihe in Blick zu nehmen. Dean DeBlois selbst gibt an, dass er mit den drei Filmen eine übergreifende Story erzählen will. Gelungen ist ihm viel mehr als das. »Drachenzähmen« zeichnet, vielleicht unwillentlich, ein Sittenbild dieser Epoche. Im Kunstwerk decken sich Absicht und Ergebnis nie ganz. Erzähler packen die Welt oft intuitiv und könnten es nicht begrifflich machen. Zum anderen folgen sie der Logik des Erzählens, wodurch sie unvermeidlich Bedeutung herstellen. »In der Kunst«, schreibt Peter Hacks, »verändern Sachverhalte ihr Wesen; sie hören auf zu sein und fangen an zu bedeuten.« Wie Literatur übersetzt Film Strukturen der Wirklichkeit in Ideenstrukturen. Die Frage ist nicht, ob, sondern wie gut er das tut.

Continue reading »
Jan 282019
 

»The Favourite – Intrigen und Irrsinn«

Wenn Yorgos Lanthimos bislang für ein Kino stand, in dem Stil vor Substanz kommt, scheint sich das in »The Favourite« umzukehren. Das soll nicht sagen, dass die künstlerischen Mittel hier weniger effektvoll wären als etwa in »The Lobster« (2015) oder »The Killing of a Sacred Deer« (2017). Die Musik schwankt zwischen Harmonie und schriller Beklemmtheit, die Kamera reproduziert diese Stimmung durch nicht vorhersehbare, impulsive Fahrten sowie einen häufigen Wechsel von Weitwinkel und Fisheye auch bei Innenszenen. Die Beleuchtung nutzt, inspiriert von Kubricks Arbeit an »Barry Lyndon« (1975), ausschließlich natürliche Lichtquellen, was der Orientierung im Raum oft nicht zuträglich ist.

Continue reading »
Jan 132019
 

Einrichtungen haben Richtungen. Bestimmte Funktionen. Sie lösen nie alles, ganz abgesehen davon, dass im Gesellschaftlichen keine Lösungen möglich sind, die nicht ihrerseits wieder Probleme zeugen. Es kann nicht darum gehen, Zustände zu schaffen, die jegliche Probleme tilgen; es kann solche Zustände nicht geben. Vielmehr wären die oft geschmähten First World Problems zum allgemeinen und einzigen Status zu machen. Niemand muss hungern, niemand ein entrechtetes, unterdrücktes Wesen sein, das gezwungen ist, für sein bisschen Auskommen den Rücken zu beugen und das Denken eines Anderen in sich aufzunehmen, sich geistig und materiell zu unterwerfen (statt einfach zu arbeiten). Continue reading »

Dez 242018
 

Jeder hat peinliche Verwandte. Wer nach Herakles ruft, könnte Iphikles bekommen. Es lässt sich nicht leugnen, dass es eine affektive Spielart der etatistischen Haltung gibt, die den Begriff unterläuft und die gedankliche wie politische Anstrengung meidet. In dieser Spielart gehen weder die Sache noch ihr Begriff, weder der Staat noch der Etatismus, ganz auf. Folgerichtig daher, dass die romantische Rezeption, da sie den Etatismus in seiner begründeten Form nicht zu fassen bekommt, jedwede positive Haltung zum Staat, der sie irgend begegnet, auf diese bloß affektive Ebene herunterstutzt. Wer nach dem Staat rufe, tue das nur, weil er sich im Grunde vor der Freiheit fürchtet, sich nach Behütung sehnt, Angst hat, eigene Entscheidungen zu treffen. – Ihnen fällt buchstäblich nichts ein als immer bloß das. Continue reading »

Aug 262018
 

Reine Demokratie ist wie reiner Sauerstoff, irgendwas zwischen tödlich und nutzlos. Einmal eingerichtet führte sie die permanente Gefahr der Volkswut, des Faschismus, der bloß scheinbaren Opposition gegen die Unterdrückung und Ausbeutung mit sich. Der Staat dagegen enthält die Möglichkeit, sittlich über sich hinauszuschreiten. Indem er sich als Staat entfaltet, was nicht sogleich quantitativ zu verstehen ist. Also nicht in dem Sinn, dass je mehr Staat, desto besser, sondern im Sinne einer temperierten und angemessen Lenkung. Die Idee der Angemessenheit deckt sich mit der des Etatismus. Continue reading »

Jul 102018
 

Von allem, was gegen Kommunisten vorgebracht wird, ist der Vorwurf der Unbelehrbarkeit der albernste. Natürlich ist 1 Vorgang der Geschichte nicht mit den Möglichkeiten der Welt in eins zu setzen, ist also auch 1 stattgehabte Niederlage noch kein Hinweis darauf, dass sie sich stets wiederholen müsse. Und natürlich haben Menschen, deren Perspektive über das Gegenwärtige nicht hinausgehen will, die geringsten Aussichten, die Welt als eine Menge von Möglichkeiten aufzufassen, indem das Vorhandene als kleiner Teil des Möglichen verstanden und das Notwendige ebenso wie das Unmögliche aus dem Denkbaren gesondert wird. Nicht wir sind unbelehrbar, ihr seid es. Und deswegen geht es gar nicht darum, Verhältnisse anzustreben, deren Funktionieren davon abhängt, dass erstmal der Mensch sich zu emanzipieren hätte. Es geht darum, Verhältnisse einzurichten, die den Menschen ermöglichen, im Rahmen ihrer bescheidenen Mittel ein wenig zu wachsen. Die ihnen ermöglichen, human zu werden, ohne dass sie dazu aufhören müssen, Mensch zu sein.

– Ich gebe zu, es ist etwas zu lang für einen Grabstein, aber schreibt es mir bitte trotzdem drauf.

Jul 012018
 

Version 2016

»Jeder stirbt für sich allein« ist ein viel zu langer Roman von Hans Fallada. Die bisherigen Verfilmungen taten gut daran, die Fabel zu straffen. Die Widerstandsgeschichte wurde auserzählt, die Gefängnisgeschichte, also die zweite Hälfte des Romans, weggelassen. Ich habe die Verfilmung von 1976 nicht gesehen, aber die DEFA-Produktion von 1970. Das ist etwa 20 Jahre her. Jetzt habe ich die jüngste Verfilmung von 2016 besichtigt und fühle mich in allen wohlerworbenen Vorurteilen bestätigt. Continue reading »

Jun 232018
 

Zur Poesie Gerhard Gundermanns

»Sieh dir mal die schönen Sachen an: Die kann man alle noch gebrauchen. Und was man wirklich nicht mehr essen kann, das lässt sich doch noch rauchen.« Larmoyanz war Gundermanns Sache nicht; seine Poesie hatte zwei Seiten, eine warme und eine Eisenseite. Gerade dass die Zuversicht aufgenötigt blieb, macht ihre Kraft aus. »Eine kleine leise Traurigkeit« bringt das in acht Zeilen zusammen: rauhe Umstände, innere Traurigkeit, Umschlag ins Heitere. Das Lied steht mit seiner unsagbaren Schönheit neben kosmischen Griffen wie »Septembermorgen« oder »Ein Gleiches«. Continue reading »

Mai 312018
 

»Hostiles« erinnert an das Erbe der amerikanischen Kolonialgeschichte

Wenn schon der Film überhaupt von der bürgerlichen Gesellschaft geprägt ist wie kein Genre je, so kann der Western als reiner Ausdruck davon genommen werden. Sein Setting ist die idealisierte Geographie des frühen Kapitalismus: die unterentwickelte Staatlichkeit, der Vorrang des noch nicht kodifizierten Rechts, das egozentrische Handeln als höchstes gemeinsames Gut, die unerbittliche Expansion, bei der Hinterland und Frontier verschwimmen, die absolute Grenze des Pazifik, nach der bloß noch intensive Reproduktion möglich sein wird – alle diese Elemente sind im Western zum Naturzustand verklärt. Hier siedle ich und kann nicht anders. Continue reading »

Mai 172018
 

Die Dokumentation »The Cleaners« wirft Licht auf eine Schattenindustrie

Als Saul Ascher 1818 seine »Idee einer Preßfreiheit und Censurordnung« vorlegte, war er von einer wohlbekannten Zerrissenheit befallen, die Freiheit zwar zu wollen, nicht aber die damit gegebene Möglichkeit zu Verleumdung und Aggression. Sein Vorschlag lautete, dass Zensur nie den Inhalt, sondern die Form anzutasten habe. Jeder sage, was er will, doch man sorge, dass gewisse Grenzen nicht überschritten werden. Ascher wollte also trennen, was sich praktisch nicht trennen lässt. Wer ein Medium für das Gute öffnet, öffnet es auch fürs Schlechte, und wenn schon im täglichen Betrieb beides stets ineinandergreift, so scheint erst recht unmöglich, dies Chaos in ein allgemeines Handlungsgesetz zu überführen. An eben dieser Schnittstelle setzt exakte 200 Jahre und 1 Internet später die Dokumentation »The Cleaners« an. Continue reading »

Mrz 232018
 

In »Die stille Revolution« versuchen es Kapitalismus und New Age noch einmal miteinander

Vögel zwitschern, weites Waldland, norddeutsche Gezeiten, Füße im Watt. Diese Dokumentation über den Wandel der Arbeitswelt beginnt mit Bildern, die denkbar weit von dem liegen, was menschliche Arbeit ausmacht. Ist das schon Vergangenheit oder noch Zukunft? Wir sehen die Geschichte des Unternehmers Bodo Janssen, der eines Tages von seinen Angestellten gemocht werden wollte. Er krempelt seine Firma um, und seither sind alle glücklich. Continue reading »

Mrz 212018
 

Wozu braucht man einen Hacks? Zum 90. Geburtstag eines abwesenden Dichters

Über den sollte Raoul Peck mal einen Film machen, sage ich in einem jener Momente, worin es schon aus Gründen der Uhrzeit bloß noch um die Punchline geht. ›Le jeune Hacks‹, da klingelt was. Saxophon in Schwabing, Party in der Berliner ›Möwe‹, Sex, Cognac, Verbote durch Adenauer und Ulbricht. Während der Abspann läuft, darf geweint werden: Was ist bloß aus dem Mann geworden? Continue reading »

Mrz 102018
 

Hört ihr, Ehemalige, wie Atlas mit den Schultern zuckt? Vermutlich wird sein Leben demnächst verbiopict, mit Matt Damon in der Hauptrolle. Dann klingen Sätze »Ein Setting gehört für mich zu einem akademischen Gespräch dazu« noch lustiger.

Reden wir nicht von den historischen Ungenauigkeiten des Artikels, das interessiert keinen, der nicht dabei war. Interessant ist dies:

»Denn die Entwicklung des John-Lennon-Gymnasiums hin zu einer der angesagtesten Schulen der Stadt war alles andere als ein Selbstläufer. Man vergisst das schnell – jetzt, da die Schule sich vor lauter Nachfrage die besten Grundschüler herauspicken kann.« Continue reading »