Juni 282009
 

Es gibt Überzeugungen, die man sich schon deswegen bewahrt, weil man anders sein Leben kaum in einiger Ruhe und Ordnung verbringen könnte und vielmehr stets fürchten müßte, daß einem die schlimmsten Dinge zustoßen, da die Welt, im Fall jene Befürchtungen Realität hätten, kaum noch als sicher gelten könnte. Von unseren Architekten z.B. glauben wir, daß sie in der Lage sind, Gebäude auf die Erde zu stellen, die auch nach längerem Gebrauch nicht einstürzen, und dieser Glaube erleichtert es durchaus, sich täglich in solchen Gebäuden aufzuhalten. Von unseren Konditoren glauben wir, daß sie nie den Puderzucker mit dem Rattengift verwechseln, aus denselben verständlichen Gründen. Von unseren Fluggesellschaften …

An diesem Glauben ist nichts verwerflich. Immerhin: Häuser stürzen praktisch nie von selbst ein, puderbezuckerte Kuchen besorgen bestenfalls einen schleichenden Tod durch Verfettung, und selbst Maschinen der Air France neigen in den allermeisten Fällen dazu, genau dort runterzukommen, wo sie runterkommen sollten.

Merkwürdig indes, daß diese Sorte Glaubens sich auch in solchen Fällen hält, wo Evidenz längst Zweifel hat aufkommen lassen. So glauben wir wirklich, daß unsere Politiker praktische Menschen sind, obgleich doch ihre Politik oft genug bezeugt, daß sie es nicht sind – nicht einmal das, um präzise zu sein. Wir glauben auch, daß unsere Lyriker etwas von Metrik verstehen, unsere Ärzte wissen, wie man Menschen heilt, und unsere Lehrer mit Menschen umgehen können. Ähnlich denn auch unser Bild von den Wissenschaftlern. Continue reading »

Juni 252009
 

Das Große kommt meist in Verpackung des Kleinen ins Haus. Es gibt, will ich sagen, Anlaß und Ursache. Der Anlaß mag läppisch scheinen, wenn die Ursache es nicht ist, ist auch er es nicht. So denn wohl auch in jenem Problem, das mir nicht erst seit heute morgen auf die Nervenbahnen drückt. Ich nenne es einmal das Brötchen-Problem, und es läßt sich in einem Satz zusammenfassen: Es ist nicht mehr möglich, in Berlin ohne erhebliche Mühe genießbare Brötchen zu bekommen.

Wer wissen will, wie ein Problem zu beheben ist, muß wissen wollen, worin seine Ursache liegt. Continue reading »

Juni 232009
 

Goethe schafft es immer wieder, mich zu überraschen. Erst kürzlich las ich wieder einen Goethe-Satz, der mehr enthält als ganze Regale voll von Büchern zum selben Thema:

Wir sind naturforschend Pantheisten, dichtend Polytheisten, sittlich Monotheisten.

Wie macht der Mann das? Selbst die Überraschung gerät ja, wenn man sie zu erwarten beginnt, in die Gefahr, ihren Reiz zu verlieren. Jemand also, der immer wieder überrascht, muß über einiges mehr verfügen als bloß die Fähigkeit zu überraschen.

Ich lese Goethe, seit ich denken kann; manches von ihm immer wieder. Er ist der einzige Dichter, der Continue reading »

Juni 212009
 

Sappho ist eine lesbische Dichterin im doppelten Sinne des Wortes. Sie lebte auf Lesbos, schrieb im lesbisch-aiolischen Dialekt (dem ungemütlichsten von allen), und sie pflegte sexuelle Neigungen zu Frauen. Gut möglich, daß sie bisexuell war; heterosexuell war sie nicht.

Heute weiß das jeder. Zu gut passen die persönlichen Beziehungen, die in Sapphos Gedichten gespiegelt werden, in den kulturellen Zusammenhang der Initiationsriten, die es eben nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen gab, und für die gleichgeschlechtliche Bindungen nicht untypisch zu sein scheinen. Continue reading »

Juni 202009
 

Vielleicht hat Monika Maron, der man jüngst den Nationalpreis für ihr „Werk“ übergeholfen hat, in ihrem Leben nie einen wahreren Satz gesagt als den, mit dem sie zu ihrer Dankesrede anhub:

Der Preis der Deutschen Nationalstiftung ist kein Literatur-Preis. Er ist ein politischer Preis

Ich begrüße so viel Ehrlichkeit. In der Tat sind die drei Preisträger Uwe Tellkamp, Erich Loest und eben Monika Maron literarisch gesehen bestenfalls Holzklasse Continue reading »