Jan 232020
 

»Weathering With You«

Nachdem Isao Takahata und Hayao Miyazaki über Jahrzehnte hinweg den japanischen Animationsfilm bestimmt hatten, blieben mit ihrem Ruhestand stilistische Maßgaben zurück, denen sich heute kaum ein Anime-Regisseur entziehen kann. Was die kommenden Jahre betrifft, zeichnet sich unterdes ab, dass es wiederum zwei Regisseure sein werden, die das Genre dominieren, Mamoru Hosoda und Makoto Shinkai. Anders als die Ghibli-Gründer arbeiten sie nicht zusammen, und anders als bei denen scheint ihr Verhältnis von Respekt geprägt. Hosoda ist der bessere Erzähler; seine Stories erweisen sich als komplexer, vielseitiger in den Ideen, präziser in den Raum- und Zeitstrukturen. Shinkai ist der bessere Director; die Figuren noch im traditionellen Manga-Stil haltend schafft er bei den Hintergründen ein Festspiel von Effekten, das nicht nur in Japan ohne Gleichen steht. Continue reading »

Jan 162020
 

»1917«

Film ist ein Ding, das tut, als sei es Vorgang. Oneshot eine Szene, die tut, als sei sie Film. »1917« nun ein Film, der tut, als sei er Oneshot. Spielerei mit Weltkrieg also? Es fing ja früh an, mit Hitchcocks »Rope« (1948), wo die Bemühung einer kontinuierlichen Einstellung noch durch die Laufzeit der Filmrollen begrenzt war. Folglich musste er genau das machen, was Sam Mendes jetzt freiwillig tut – einen Film schneiden, der wie ein ungeschnittener aussieht. Genauso verhält es sich bei »Birdman« (2014) und dem zu Recht kaum beachteten »Bushwick« (2017). Tatsächlich ungeschnittene Filme wie »Russian Ark« (2002), »Victoria« (2015) oder »Utøya 22. Juli« (2018) verenden dagegen, weil die Produktionsnotiz zur Hauptnachricht wird. Was »One Cut of the Dead« (2017) wenigstens ins Witzige wendet, insofern dieser Film die eigene Entstehung miterzählt. Der tatsächliche Oneshot bleibt beschränkt; man kann nicht das beste Material wählen, muss auf die szenischen Möglichkeiten der Montage verzichten, zeitlich gebunden bleiben. Der scheinbare Oneshot ist die größere Herausforderung; seine Schnitte müssen elegant verborgen, alles im Takt und am Ort gehalten sein. Wen interessiert, was am Set passierte? Entscheidend ist auf der Leinwand. Continue reading »

Jan 092020
 

»Little Joe«

Es mag nicht klug sein, bereits in der ersten Januarwoche den klügsten Film des Jahres auszumachen, doch ich fürchte, es könnte dabei bleiben. Was Inszenierung und ideelle Struktur betrifft, kann Jessica Hausners »Little Joe« einer der großen Filme 2020 werden, dessen leichte Schwächen im Erzählerischen mit durchrutschen. Continue reading »

Jan 032020
 

»Jam«

Nun ist SABU gewiss oft mit Tarantino verglichen worden, und selten ergiebig. Doch »Jam« erinnert in Struktur und Erzählweise tatsächlich etwas an »Pulp Fiction« (1994). Wie dort werden hier drei Stories verknüpft, wie dort passiert das durch temporale Verschiebung, die einen Teil der dramatischen Spannung besorgt. Wie dort nehmen mitunter Elemente Raum, die nicht mehr leisten sollen als etwas Rätselhaftigkeit in das andernfalls banale Ganovenmilieu zu bringen. Allerdings geht es in »Jam« durchaus um was. Der Film erzählt vom Schicksal dreier Männer. Continue reading »

Dez 242019
 

»7500«

Künstler tun seltsame Dinge. Übers eigene Werk reden etwa. Wenn sie auch wissen, wie sie es, kaum je wissen sie, was sie da tun. Regisseur Patrick Vollrath z.B. nennt seinen Film »7500« ein »hyperrealistisches Thrillerdrama«, in dem es darum gehe, durch den engen Raum eines Flugzeugs die »globalisierte, multikulturelle Landschaft von Heute« mittels einer Handlung zu spiegeln, an deren Ende der »Teufelskreis« der Gewalt durchbrochen werde. Tatsächlich befördert »7500« weder einen gesellschaftlichen Realismus, noch wird hier ein Zyklus der Gewalt durchbrochen. Vorliegt vielmehr ein punktgenau inszeniertes, naturalistisches Charakterstück, das souverän die Einheit von Ort, Handlung und Zeit wahrt. Aristoteles gefällt das, doch es ist mehr intensiv als bedeutend, mit einem Blick, der nicht weit reicht, sondern nach innen geht. Zu echt, um wahr zu sein. Continue reading »

Dez 192019
 

»The Peanut Butter Falcon«

Zak (Zack Gottsagen) ist 22 Jahre alt. Abgeschoben von seiner Familie, die Liebe, Zeit oder Geldmittel auf ihn nicht verwenden will, wurde er in ein Altenheim sortiert. Es war die einzige Einrichtung, die in der strukturschwachen Region North Carolinas einen Platz für ihn hatte. Betreut werden muss er, denn er hat das Down-Syndrom. Je mehr man ihn im Lauf der Handlung kennenlernt – seine Träume, seinen Charme, seine Schlauheit –, versteht man, dass er in ein Heim, zumal für ausschließlich alte Leute, einfach nicht gehört. Er hätte das Recht auf ein assistiertes, gleichwohl selbständiges Leben. Continue reading »

Dez 122019
 

»Gundermann Revier«

Da die Formel gesamtdeutsch=westdeutsch gültig bleiben muss, wo eine Vereinigung nie stattgefunden, der unveränderte Staat vielmehr sich bloß nach Osten hin ausgedehnt hat, droht jeder Versuch, dem westdeutschen Publikum einen ostdeutschen Künstler bekannt zu machen, diese Asymmetrie zu reproduzieren. Die neuen Bürger hatten alles über die alten zu lernen, die alten nichts über die neuen. Dagegen anzuarbeiten ist Andreas Dresen mit »Gundermann« (2018) nicht gelungen, und vielleicht lässt sich zu seiner Verteidigung vermuten, dass er das nie vorhatte. Vielleicht wollte er genau jene Unterwerfung vor dem bornierten Selbstverständnis der Bundesrepublik, kenntlich an der Entscheidung, die marginale, für Gundermanns Biographie unwesentliche Episode um die MfS-Tätigkeit ins Zentrum zu rücken. Nur so erträgt man den Ossi – im Kampf mit den Ärgernissen des Sozialismus bzw. mit der Stasi-Vergangenheit hadernd. Dass Gundermann wie kein anderer Liedermacher die in der kapitalistischen Expansion vollzogene kulturelle, politische und ökonomische Planierung des Ostens reflektiert hat, konnte die selbstgefällige Rezeption bloß stören. Continue reading »

Dez 052019
 

»Alles was du willst«

Der Handlungsanriss packt nicht gerade. Alter Herr nimmt sich eines Jungen an. Nichts Neues so weit, doch Filme haben Bilder, Töne, Worte und Schauspiel. Der hier schafft auf allen Ebenen Bekanntes zum Aufleuchten zu bringen, stiftet Gefühl ohne Rührseligkeit, Komik ohne Spott, Weisheit ohne Schwärmerei. Continue reading »

Nov 222019
 

»Pferde stehlen«

Vermutlich ist Erwartungen zu erfüllen wichtiger für den Erfolg eines Künstlers als gekonnt Überraschungen zu setzen. Das frei genießende, von Fall zu Fall urteilende Publikum existiert nur in der Einbildung, die einer braucht, der sich freimachen möchte von jenen Erwartungen. Dankbar ist das Publikum ihm dafür selten, auch wenn es dann ja gleichfalls befreit wurde. Vielleicht passiert das gerade mit Hans Petter Moland, den man bislang vor allem für düsteren Humor schätzte. Noch sanft in »Ein Mann von Welt« (2010) trieb er das Prinzip in »Einer nach dem anderen« (2014) zum Höhepunkt. Diese kaltschnäuzige Groteske verdeckt mit Witz die Traurigkeit des Vorfalls. In »Pferde stehlen« nun bleibt nichts übrig als diese Traurigkeit. Hier gibt es weder Witz noch Komik, keinen Schwung. Die Figuren handeln nicht, sie erleiden. Continue reading »

Nov 142019
 

»Booksmart«

Wenn zwei Hänger, die die gesamte Schulzeit mit Saufen, Drogen und Geschlechtsverkehr rumgebracht haben, aus Angst vor mangelhaften Noten beschlössen, in der Nacht vor der Abschlussprüfung sämtlichen Rückstand aufzuholen, wäre diese Idee von derselben Gediegenheit, wie alles, was sie davor im Sinn hatten. Nämliches gilt für zwei Streberinnen, die den Entschluss fassen, in der Nacht vor dem High-School-Abgang alles Vergnügen nachzuholen, das sie bis dahin des Lernens wegen vorbeiziehen ließen. Nur dass sich aus dem zweiten Einfall ein Film erzählen lässt, wenn auch kein sonderlich tiefer. Continue reading »

Nov 042019
 

»Invisible Sue«

Das ist einer der Filme, die man wirklich mögen möchte. Neben »Unheimlich perfekte Freunde« gehört »Invisible Sue« zu den deutschen Kinderfilmen des Jahres, die sich von Instantnahrung wie »TKKG«, »Die Drei !!!« oder »Ostwind – Aris Ankunft« schon dadurch abheben, dass sie mit einer selbständigen Idee auftreten. Leider zieht der Film vor, unter der selbst hochgelegten Latte hinweg zu tauchen. Continue reading »

Okt 182019
 

»Born in Evin«

Vorm Hintergrund erst des Wissens, wie entscheidend der frühkindliche Abschnitt für die Entwicklung jeder Persönlichkeit ist, erhält dieser Film seine Tragweite. Ungemein persönlich tritt er auf, gleichwohl exemplarisch. Maryam Zaree – Regisseurin, Autorin, Protagonistin – wurde als Kind inhaftierter Dissidenten 1983 im Evin-Gefängnis nahe Teheran geboren und verbrachte dort die ersten Jahre ihres Lebens. Heute arbeitet sie als Schauspielerin in der Bundesrepublik und findet, da kaum jemand mit ihr über diese Jahre reden will, für angezeigt, ein solches Reden zu erzwingen. Ich denke, so muss man diesen Film fassen. Als letztes Mittel eines Menschen, sein Recht auf Wissen durchzusetzen. Continue reading »

Okt 052019
 

»Skin«

Es scheint retrospektiv fast zwingend, dass Regisseur Guy Nattiv den Stoff um den Neonazi Bryon Widner von der Erzählung weg auf die Bildsprache hin gestaltet hat. Denn nicht der Inhalt, nicht die Erzählung – das titelgebende Motiv der bemalten Haut macht die Besonderheit dieser Biographie. Widner musste seinen Ausstieg aus der Szene ebenso auf der Haut vollziehen wie darunter. Insgesamt 612 Sitzungen waren nötig, die zahllosen Tattoos verschwinden zu lassen, die seinen Körper bis ins Gesicht bedeckten. Dass das Entfernen so schmerzhaft wie das Tätowieren war, kann als lex talionis verstanden werden: die Strafe spiegelt das Vergehen. Continue reading »

Sep 262019
 

»Gelobt sei Gott«

Wie die Genrebezeichnung lässt sich auch das Thema eines Kunstwerks als Vertrag mit dem Publikum verstehen. Gewiss kann man Verträge brechen, und mitunter liegt genau dort der Reiz. Nur gibt es Zusammenhänge, da gehört sich das einfach nicht. Wo ein Film als Film für die Opfer antritt – wo es also nicht ums Investigative und nicht um den modus operandi des Täters geht –, dort sollte er dann auch wirklich von den Opfern handeln. Das große Drama »Spotlight« (2015) war, bei aller Sensibilität, eine Missbrauchs-Exploitation, um seinem eigentlichen Thema, dem investigativen Journalismus Huld zu tun. »Utøya 22. Juli« (2018) blieb dagegen strikt in der Perspektive der Opfer, geriet aber zum Festspiel der Eitelkeit, das den gesetzten Zweck sabotiert. »Gelobt sei Gott« nun ist nichts weniger als ein Lehrbeispiel. Eines Films nämlich, der sich durch seinen guten Zweck nicht zu falschen Mitteln verführen lässt. Continue reading »

Sep 232019
 

»Ad Astra«

Dieser Film wird enttäuschen, ohne tatsächlich enttäuschend zu sein. Wer hier ins Kino findet, rechnet gewiss nicht mit Historien wie »Apollo 13« (1995), »Die Zeit der Ersten« (2017) oder »First Man« (2018), deren Handlung naturgemäß physisch ausgelegt ist. Auch nicht mit ganz entrückten Szenarien wie »Forbidden Planet« (1956) und »Journey to the Far Side of the Sun« (1969). Aber wohl doch mit etwas wie »Gravity« (2013) oder »The Martian« (2015), worin eine stark dosierte Nah-Utopie gerade so viel Raum schafft, dass ein physischer Plot sich entfalten kann. Sicher werden einige die Tiefe oder Breite von »2001: A Space Odyssey« (1968), »Silent Running« (1972), »Solaris« (1972), »Interstellar« (2014) erwarten. In der Tat ist »Ad Astra« nichts von all dem, auch nichts dazwischen. Der Film gerät zu tief, um breit, nicht breit genug aber, um wirklich tief sein zu können, und so physisch, dass er symbolisch genommen werden muss. Das klingt paradox, was daran liegt, dass es das ist. Continue reading »