Feb. 222017
 

 

Villeneuves »Arrival«

Wer breitbeinig flaniert, lädt dazu ein, dass man ihm in die Kniekehlen tritt. »Arrival«, dieser Film über die Sprache, das Universum und den ganzen Rest, scheint viel zu wollen. Daher darf man auch mehr von ihm wollen. Indessen ist, wer nicht vorhat, ihn wie einen gewöhnlichen Film zu behandeln, gezwungen anzugeben, wie er Filme gewöhnlich behandelt. Continue reading »

Jan. 102017
 

Vor 90 Jahren hatte Fritz Langs »Metropolis« Premiere.

Wer den Film gesehen hat, ist selbst schuld

 

Der Stummfilm ist eine Laune der Natur. Ein unvollständig zur Welt gekommenes Genre, das nach kurzer Blüte vom Tonfilm verdrängt wurde. Möglich, dass auch das an Langs »Metropolis« verdrießt, der ungeheuer aufgepumpt noch einmal alles herausholte, was an Tugenden und Macken in der untergehenden Kunstform steckte. Ein wenig Unsicherheit mag hier bleiben, da der Film nicht vollständig erhalten ist und die hinzugeführten Elemente der spät restaurierten Fassung von 2010 stark gelitten haben. Obgleich statt der Lang-Fassung also bloß eine Langfassung greifbar ist, scheint heute ein wenigstens ungefährer Eindruck dessen möglich, was am 10. Januar 1927 bei der Premiere über die Leinwände ging. Continue reading »

Sep. 302016
 

Ich habe überhaupt nichts gegen Adaptionen. Jedenfalls nie, solange ich sie noch nicht gesehen habe. Bei »Ben Hur« z.B. ist schwer vorstellbar, dass die Vorlage (ich rede von Wylers Monster) überhaupt untertroffen werden kann. Dieser Film mit seinen 11 Oscaren nimmt sich mit verstörender Offenheit das Recht heraus, sein Publikum zu langweilen, und wär doch ein Meisterwerk, wenn man die meterschindenden Passagen, die Overtüren, Zwischenspiele, das sinnlose Herumstehen oder -laufen der Figuren aus ihm entfernte. Wenn man den wuchtigen jüdischen Racheplot nicht mit der christlichen Ödnis von Vergeben und Erdulden verpanscht hätte. 222 Minuten ließen sich problemlos auf 120 zusammenkürzen, und herauskäme ein Film, den man sich mehr als einmal ansehen kann. Auch das Remake, das jetzt ansteht, wird jene Macken nicht ganz loswerden können (sie liegen ja schon im Stoff selbst, Ben Hur ohne Jesus wäre nicht Ben Hur), aber es ist schwer vorstellbar, dass es ähnlich sadistisch gegen sein Publikum sein könnte. Continue reading »

Sep. 142016
 

Der Aufstieg des Donald Trump und sein Vorschein im Marvel-Kosmos

von
Konstantin Bethscheider

Vorwort

»Es ist in der Tat viel leichter, durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt, aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln. Die letztre ist die einzig materialistische und daher wissenschaftliche Methode.«

(Karl Marx)

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Lage der westlichen Gesellschaften verzweifelt ist: Die Wiederauferstehung politischer Kräfte, die man sich durch die neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts hindurch bereits angewöhnt hatte als ›Ewiggestrige‹ zu unterschätzen, legt davon ebenso Zeugnis ab wie die offenkundige Unmöglichkeit, dieser rasanten Regression mit den Mitteln des Intellekts zu begegnen. Während diesseits des Atlantiks AfD, Front National und Putin Erfolge feiern, die mit den Mitteln des Verstandes so schwer nachzuvollziehen sind, dass jede neue Hiobsbotschaft empfangen wird mit dem Lamento, dass noch ein Jahr zuvor der entsprechende Erfolg unvorstellbar gewesen sei, starren die Medien und die Intelligenzija jenseits des atlantischen Ozeans wie ein Reh im Scheinwerferlicht auf die Erfolge Donald Trumps, dessen kometenhafter Aufstieg nicht einmal durch Zerwürfnisse mit seinem natürlichen ideologischen Verbündeten Fox News behindert werden konnte. Continue reading »

Sep. 092016
 

»Pride« spielt im Gestern und handelt von heute

(keine Rezension)

Man kann »Pride«, diese sehr britische Komödie, nicht sehen, ohne sich in manchen Momenten enerviert im Sessel hin und her zu wälzen. Man möchte auf Pause drücken, lässt es doch, füllt Whisky nach und schaut kopfschüttelnd weiter. Und einen Moment später schafft der Film spielend, einem die Tränen in die Augen zu treiben. Weils so schön ist, und so traurig. Und gelungen. Obwohl er kitschig ist und naiv, weil er kitschig ist und naiv. Ich rede also von einem wirkungsvollen Stück Kino. Da der Plot ohne Naivität nicht funktionieren könnte und der Film andernfalls Gefahr liefe, in gnadenlos verlaberten, analytisch aufgepumpten Szenen zu ertrinken, tut er gut daran, diese Naivität auch gleich hemmungslos einzusetzen. Continue reading »

Feb. 072016
 

Eine Gruppe zieht durch die Wildnis. Einer wird verletzt, und die Gruppe dadurch gefährdet. Soll er zurückgelassen werden, damit die Gruppe überlebe? Soll man ihn durchbringen und die Gruppe so gefährden? Das ist das Setting von Brechts »Jasager & Neinsager«. Das ist auch das Setting von »The Revenant«, jenem Filmstück, in dem der hier sinnlos verschwendete DiCaprio den halbtoten und mühsam ins Leben zurückkeuchenden Trapper Hugh Glass spielt. Wo Brecht sich dem gedanklichen Potential des Stoffs stellt, wenn auch etwas schematisch und abgezogen, erledigt »The Revenant« diesen eigentlich interessanten Teil der Geschichte – die Möglichkeit nämlich, das Kollektiv als allmählich in sich entzweites zu zeigen – innerhalb weniger Minuten. Was vorausging, war eine selten mehr als träge Einleitung. Was folgte, ein nicht enden wollendes Schnauf- und Kriechdrama. Continue reading »

Dez. 272015
 

Ich habe gerade rückblickend die Filmstarts dieses Jahres überflogen. Ich finde es schwach wie lange keines. Eingeschlossen einen Bond, der schon dadurch enttäuscht, dass er hinter den gut etablierten Stil der jüngeren Filme zurückfällt und wieder an die dümmliche Blofeld-Ästhetik der frühen Jahre anknüpft. Und einen Star Wars, den man vermittels Nullideen auferstehen ließ, wie etwa des noch-noch-größeren Todessterns oder des Zurückholens bekannter Gesichter und Motive mit der Brechstange, während die Fabel dem Zuschauer durch die Hirnlappen flutscht, da sie keine Widerhaken und nichts Besonderes hergibt. Eingeschlossen auch »Bridge of Spies«, der einen hervorragenden Ansatz ab etwa der Hälfte der Handlung grandios verspielt, sobald der Anwalt nämlich als Unterhändler in Ostberlin eintrifft, wo alle so unfassbar flach und falsch wird (mit Winterwetter am 13. August und anderen Späßen), dass man die DDR-Episoden von MacGyver noch vorzöge. Selbst der Antikommunismus war schon mal unterhaltsamer. Continue reading »

Dez. 182015
 

»Birdman« ist ein träger, unendlich zäher Film. Doch er wird einweilen wohl der beste Versuch bleiben, das Leben des Dieter Hallervorden in die Parabel zu bringen. Dass, gottlob, keiner der Produzenten den Hallervorden kennt, tut der Sache keinen Abbruch. Kunst gilt. Ob es ihrem Urheber nun passt oder nicht. Continue reading »

Sep. 222015
 

Über die Langeweile der Road Novel und das Unbehagen an der Serie »Game of Thrones«

»Game of Thrones« ist unzerstörbar. Sein symbolisches Kapital gleicht längst dem höherer Kunsterzeugnisse. Man guckt nicht nur, man rezipiert es, diskutiert darüber, schreibt Essays, schmückt sich mit Anspielungen. Die Folge solcher Präsenz ist Entwertung. Was zu cool ist, um wahr zu sein, ist bald durch. Dafür schon sorgt der Neid der Zuspätgekommenen, die nicht zur Anhängerschaft hinzustoßen können, weil sie immer als Nachzügler gezeichnet wären. Das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, ist ein mächtiger Antrieb der Schmähsucht. Doch auch die Zahl resignierender Anhänger wächst bemerklich. Die Gemeinde dagegen, wen auch wunderts, reagiert empfindlich. Irgendwem fällt immer irgendwas ein, und da die Serie eine Vorlage hat, antworten die Evangelisten auch dann mit dem Vorwurf mangelnder Kenntnis der Romane, wenn es um Adiaphora geht. Nur, der Rückstoß wird hier stärker als die Zielwirkung, denn auch dort, wo andererseits eine wesentliche Differenz zwischen Serie und Buch vorliegt, unterstellt das Argument, dass die Serie nicht als eigenständiges Kunstwerk betrachtet werden kann. Continue reading »

Mai 032014
 

»Captain America«, der Posse zweiter Teil, hat gekonnt alle Erwartungen untertroffen. Nicht, daß die hoch waren. Niemand hatte geglaubt, etwas vom Kaliber der »Watchmen« oder »The Dark Knight« zu sehen. Aber selbst an ihren eigenen Maßstäben gemessen ist diese Fortsetzung schwach. Der erste Teil des CA teilte kaum mehr mit als das Weltbild der Boy Scouts, die ängstliche Katzen von Bäumen holen, Nachbarn beim Reparieren des Dachs helfen und im schlimmsten Fall mal zu tief ins Rootbeerglas schauen. Der junge Steve Rogers ist körperlich schwach, aber von einer unerschütterlichen Geradlinigkeit, einem Eifer und Patriotismus erfüllt. Er war damit eine Art positives Gegenbild für das gegenwärtige Amerika, bei dem es sich genau umgekehrt verhält: Die Hardware funktioniert bestens, ist aber begleitet von einer tiefen Verunsicherung und dem allmählichen Begreifen, daß auch die eigene Ideologie (und nicht nur die der Gegner) einen doppelten Boden hat. Rogers steht für eine Zeit, in der die Guten einfach noch die Guten waren. Continue reading »

Feb. 102014
 

Die Behauptung, daß jedes Kunstwerk einen Inhalt habe, ist so wahr wie banal. Viel interessanter ist die Frage, was denn genau diesen Inhalt ausmache. Abgesehen davon, daß sich der Inhalt in der Kunst nie als solcher zeigt, sondern notwendig in einer Form, und daß die Form, das Wie der Mitteilung, selbst zur Mitteilung wird, läßt sich, sofern man Inhalt als Begriff in der Abstraktion festhalten will, Weltanschauung und Haltung voneinander unterscheiden. Das darstellende Kunstwerk (Epos, Roman, Film, Theaterstück, Musical, Oper usf.) macht einerseits durch Diktion Aussagen, vermittelt also ausdrücklich Ideen, andererseits aber teilt es durch die Handlungsstruktur selbst gleichfalls etwas mit. Man kann lange und ergiebig darüber streiten, welche der beiden Mitteilungen die wichtigere ist: die durch Rede vermittelte Weltanschauung oder die durch Handlung vermittelten Haltungen. Continue reading »

Apr. 302013
 

 

Das Trauerspiel

Der Gegenstand ist groß. Groß und weithin unbegriffen. Auch von denen, die er angeht. Was vorderhand wenig besagt, denn wann jemals hätte irgendein Volk auch nur irgendwas begriffen? Es geht um die Abschaffung der Sklaverei in Nordamerika, und um die Art, wie sie vonstatten ging. Die Vereinigten Staaten haben eine kurze und schwungvolle Geschichte, und man muß auf diese beiden Eigenschaften das gleiche Gewicht legen, auch weil heute von diesem Schwung nur noch wenig zu erkennen ist. Ich zögere, das Wort Konservatismus zu verwenden. Das ist es nicht ganz. Es ist eher eine Continue reading »

Jan. 102010
 

Die Maya sind ein merkwürdiges Völkchen. Sie wußten nichts von der Welt und kannten doch ihr Ende. Sie hatten einen merkwürdigen Kalender, der das Ende der Welt für den 21. Dezember 2012 vorsah. Leider ereignete sich das Ende dann ein paar hundert Jahre früher, und die wiederkehrenden Götter waren kaum größer als die Maya und sprachen Spanisch. Wie wir aber durch den Echtzeithelden und Träger des Agent-Mulder-Ordens II. Klasse, Erich von Däniken, belehrt sind, muß das Ende der Welt nicht notwendig am 21. Dezember 2012 eintreten. Die Umrechnung des Maya-Kalenders in den unseren könne schließlich auch falsch sein. Baut da schon jemand insgeheim vor für den Fall einer peinlich ausbleibenden Katastrophe am 21. Dezember 2012? Die Grundregel aller geschäftstüchtigen Propheten lautet: Sage nichts voraus, das noch zu deinen Lebzeiten eintreffen müßte. Und überhaupt, 21. Dezember! Hätte man nicht wenigstens bis Weihnachten warten können? Wie? Wer kurz vor dem Ende der Welt noch Weihnachten feiern wolle? Ich natürlich! Und wenn ich wüßte, daß morgen die Welt in tausend Stücke zerbräche, ich zöge noch heute los, einen Weihnachtsbaum zu fällen.

O doch, ich hab es gesehen, das neueste Bildwerk Roland Emmerichs, des amerikanischsten aller Nichtamerikaner. 2012 ist ein spektakulärer Film. Die Story ist genrebedingt gebaut, die Zweitklassigkeit der Darsteller (den stets erstklassigen John Cusack ausgenommen) ist statthaft, denn hier kommt alles auf die Bilder der großen Naturkatastrophe an. Technisch ist der Film vollkommen, die Effekte gekonnt, was nach Maßgabe der naturalistischen Gattung Film bereits hinreichend sein müßte. Bilder zu machen, das ist die eigentliche Tugend des Films. Aber diese eigentliche Tugend ist eben nur bedingt kunstfähig, will sagen: Auch die besten Bilder retten einen Film dort nicht, wo keine gute Handlung sie zusammenhält. Und wie sich an dem technisch gleichfalls Maßstäbe setzenden Avatar sehr gut nachvollziehen läßt, verdrießt selbst bildhafte Perfektion, wenn das Werk sich der läppischen Weltanschauung eines JJ Rousseau bedient und von einer dramatisch unergiebigen Handlung getragen werden muß.

Natürlich gab und gibt es Einwände gegen 2012. Continue reading »