Nov. 202015
 

Paris spült inzwischen schon selbst historisch gewordene Historiographien in mein Sichtfeld. Letztes Jahr unternahmen die Laienprediger von der Anstalt einen Versuch, den IS zu erklären. In 7 Minuten. Das ist eine herausragende Leistung. Golo Mann hätte gewiss 14 gebraucht. Es ist aber auch leicht, wenn man lediglich auf der Ebene der äußeren Anlässe bleibt und die Geschichte der Bewegung selbst nicht einmal anreißt. Ich wurde gefragt, wie eine bessere Darstellung hätte aussehen müssen. Continue reading »

Sep. 032015
 

Ich schreibe im Grunde nur zwei Sorten Texte: solche, die genau so gemeint sind, wie sie dastehen, und solche, die gestischer Natur sind, in denen ich mich also bewusst in eine bestimmte Haltung begebe. Die letzteren sind, auch wenn sie weniger wahr sind, die persönlicheren. Und sie sind witziger. Ich schreibe jetzt einen Eintrag dritter Sorte, der ganz so gemeint ist, wie er dasteht, und trotzdem sehr persönlich bleibt. Und kein bisschen witzig ist. Ich bitte darum, diese Unhöflichkeit zu entschuldigen. Continue reading »

Juli 202015
 

Blatters Abgang stimmt traurig. Er allein noch hätte die Menschheit versöhnen können. Als Feind. Innere Einheit braucht Feinde. Der Blatter Sepp war ein global agierender Schurke, gegen den selbst einer wie Mayer-Vorfelder seine moralische Dignität spüren konnte. Und anders als Dr. Manhattan musste er nicht einmal auf den Mars fliegen, um die Menschheit gegen sich zu vereinen. Es reichte vollkommen, dass er war, wie er war. Continue reading »

Juni 082015
 

Meine Abschlußarbeit, geschrieben 2011, auf Publikationsform gekürzt 2013, gedruckt jetzt, 2015. Als die Mühen der Gebirge hinter mir lagen, folgten die Mühen des Schaukelstuhls.

»The study aims to offer a rational explanation for the appearance of the so-called ‘digression’ in Plato’s Theaetetus and in so doing raises the question of whether it is indeed a digression. The starting point of the inquiry is the argumentative structure of the digression itself, which in the course of the inquiry will be made apparent, internally, through references to the Theaetetus itself and, externally, through references to similar passages in other dialogues of Plato. In a first step the theoretical content of the passage is analysed in detail under four aspects (the polis, epistemology, metaphysics, ethics). This analysis is followed by the speculative application of what has been established, by pursuing the question of what function the ‘digression’ fulfils in the Theaetetus. The study reaches the conclusion that it has four distinct functions: the digression is an ethical dimension of the concept of knowledge, a component of the critique of the homo mensura dictum, the performative expression of philosophical process and – most importantly – an indirect link to the Platonic system.« Continue reading »

Mai 242015
 

Warum die drohende Zerstörung der antiken Ruinen von Palmyra beinahe mehr Aufmerksamkeit erhält als die Ermordung dort lebender Menschen, ist vielleicht besser zu beantworten, als scheinen mag. Zunächst verstört wohl, daß Gestein mehr Anteilnahme bekommen sollte als Menschen. Das ist offenkundig ungerecht. Doch dieses Gestein ist nicht einfach da, es ist ein Artefakt, also erstarrte Humanität. Continue reading »

Apr. 152015
 

Noch einmal denkt, noch einmal, liebe Freunde! Es war vorauszusehen, daß Grassens Tod zu Witzen führen wird. Es war vorauszusehen, daß das Leute ärgern wird. Ich versuche, diesen Widerspruch so gerecht, wie mir möglich, zu behandeln, weil ich beides, den Spaß und den Ärger über den Spaß, ein wenig verstehen kann. Nun wird, wie ich sehe, auf den sozialen Netzwerken stark darüber diskutiert, ob, wann, wo & wie Witze über einen Frischverstorbenen in Ordnung sind. Continue reading »

März 282015
 

Mauern haben Vorzüge. Sie spenden Schatten, geben allerlei Moosen eine Heimat, gewähren Staaten Schutz vor Feinden, schirmen Siedler gegen ihre Nachbarn ab. Vor allem aber gibt es ohne sie keine Mauerblümchen. In der Tundra fühlte sich nicht mal ein Veilchen klein. Ich rede, wie Sie unschwer bemerkt haben, vom Buchmarkt. Continue reading »

Feb. 242015
 

Menschen, die mit dem Unterleib denken, gibt es gar nicht so wenige. Da ist nämlich kein günstigerer Nährboden für politische Irrationalität als das Gefühl der Ohnmacht, und ohnmächtig samma alle. Deshalb sind es so viele – und so viele aus der weiß-nichts-kann-nichts-Abteilung. Muss man sich mit ihnen beschäftigen? Nun sicher, es gibt Wichtigeres. Das Weltall zum Beispiel. Doch wenn sie auch nichts zu sagen haben, sie haben dauernd das Wort, und wer redet, hat Macht. Das Problem dabei ist, dass man sich im Verfolgen von Unterleibsgedanken stets vorkommt, als schnüffle man an einer Unterhose. Man fühlt sich wie ein Belästiger, also belästigt. Continue reading »

Nov. 132014
 

Zur durch und durch hässlichen Anatomie des Kunden

Wer in den zurückliegenden Wochen Bahn gefahren ist, in die üblichen Schmierblätter geblickt oder sonstwie verrückte Dinge getan hat, um mit der Erlebniswelt jener fleischgewordenen Fiktion namens Ottonormalverbraucher in Kontakt zu kommen, mochte sehen, was nach dem kurzzeitigen Hoch des WM-Siegs und der sich anschließend mächtig zurückmeldenden Spaltung durch die Ukrainekrise die deutsche Volksgemeinschaft ein weiteres Mal zu einen imstande ist. Lokführer nämlich. Continue reading »

Nov. 092014
 

Das geläufige Argument manifester Antizionisten, daß die Juden infolge der Diaspora kein Volk seien und daher nie einen Anspruch auf ein eigenes Land hätten erheben dürfen, sollte in der nachvollziehbaren Absicht, diesem zweckgebunden und willkürlichen Diktum etwas entgegenzusetzen, nicht reproduziert werden. Das geschieht aber dort, wo vom erfundenen Volk der Palästinenser geredet wird. Richtig ist, darauf hinzuweisen, daß die Verwandlung der Araber in die Palästinenser Ende der sechziger Jahre ein doppelter Propagandakniff Arafats war. Erstens sollte die arabische Bevölkerungsgruppe mit der Region verschmolzen werden, indem nicht mehr zwischen Juden und Arabern in Palästina, sondern zwischen Palästinensern und Juden in Palästina unterschieden wurde. Bereits im Namen also wurde der Vorrang beim Anspruch aufs Land kenntlich gemacht. Zweitens ging es darum, die palästinensischen Araber östlich des Jordans, die ihren eigenen Nationalstaat schon 1923 (und zwar fast 80% des ursprünglichen Mandatsgebietes) erhalten hatten, von denen westlich des Jordans zu trennen, weil sich natürlich Terror im Namen eines Volks, das nach wie vor Continue reading »

Okt. 012014
 

 

Daniel Rapoport hat mich für den Lobster Award hemmungslos renominiert. Er zuckt, und ich muß.

Die Fragen

1: Kurzbegründungen: Kaffee oder Tee? Meer oder Berge? Dostojewskij oder Tolstoi? Beatles oder Stones? Welches ist Dein liebster Beatle?

Kaffee – Meer – Tolstoi – Beatles – George Harrison.

Kurzbegründungen: Kaffee zwischen 7 & 15, Tee zwischen 15 & 22. Also 8:7 für Kaffee. – Meer riecht und klingt schöner, Bewegung überdies schlägt Stillstand, und im Odenwald habe ich Berge genug. Norwegen hat allerdings beides, weshalb Slartibartfast seinen Preis ja auch vollkommen zu Recht bekommen hat. – Dostojewski ist raffinierter, tiefer und Continue reading »

Sep. 292014
 

Mark P. Haverkamp, der sich hierdurch mit Dank überschüttet fühlen soll, hat mich für den Liebster Award nominiert, was eine schöne Sache mit schrulligem Namen ist. Ich mag die Fragen wie die Möglichkeit, selbst Fragen zu stellen, tue folglich, was ich kaum je tue: mitmachen. Aber ich ändere den Namen. Der Preis heißt ab jetzt Lobster Award, meint aber im übrigens alles, was sein Vorgänger auch meint.

Die Antworten

1. Bei welcher deiner Meinungen (von der du sehr überzeugt bist) stimmen die meisten anderen nicht mit dir überein?

Staatsbegriff, Demokratie, Sozialismus, Deutschland, Israel, politische Romantik, Miroslav Klose (in ascending order).

2. Wo wärest du jetzt gern?
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Aug. 152014
 

Der Pazifismus und die Wirklichkeit

Den Waffennarr unterscheidet vom Friedensaktivisten, dass er keine moralischen Vorwände benötigt, militärisches Material im Zustand der Erregung zu besichtigen. Man wundert sich durchaus, was den meisten Kriegskritikern bereits eine Nachricht ist. Das Bild eines toten Kindes, das Video einer einschlagenden Rakete, das Interview eines Dirigenten, der feierlich das Ende aller Kämpfe fordert, die Mitteilung, dass im Krieg auch Zivilisten leiden, die Forderung, dass die Gewaltspirale gebrochen werden müsse. Wie wenig bliebe von all jenen umlaufenden Artikeln, Interviews, Reportagen, Podcasts, Blogeinträgen und Social-Network-Kommentaren, zöge man das simple Bekenntnis zum Frieden und das blanke Bekunden des Entsetzens ab. Wie wenig: das stattlich bestückte Areal eines Sammlers von Militaria. Die Logik lässt uns hier nur zwei Auswege. Sind die Friedensbewegten von morbider Faszination am Krieg getrieben, oder sollten sie am Ende doch sein, was wir nie zu denken wagten: sehr einfältige Menschen? Continue reading »

Aug. 052014
 

Es war der 16. Februar 2011. Koscielny fängt einen diagonalen Paß von Messi an der Strafraumgrenze ab, legt ihn, während Barca nicht energisch genug auf den Umschaltmoment reagiert, nach außen auf Bendtner, der, für Walcott ins Spiel gekommen, weit zurückgezogen steht. Bendtner bringt sich mit wenigen Schritten zu den zentral stehenden Wilshere und Fabregas in eine Dreiecksstellung, die vier kompakt stehende Barcaspieler einschließt, die nun umspielt werden können, gibt einen schnellen horizontalen Paß auf Wilshere, der den Ball mit einer Berührung noch schneller und vertikal auf Fabregas weiterleitet. Der nimmt den Ball in einer Bewegung um 180° mit und spielt einen flachen Paß nach vorn auf den 30 bis 40 Meter vorausgelaufenen Nasri. Die Abwehr Barcelonas ist in nicht mehr als fünf Sekunden überbrückt, ohne daß der Ball den Boden verlassen hätte; lediglich eine Dreiereihe kann Nasri folgen, der keine Mühe hat, in deren Rücken zu spielen, wo Ashavin heranläuft und mit einem ansehnlich gezirkelten Schuß zum 2:1 abschließt. Solche Szenen Continue reading »