Mrz 282015
 

Mauern haben Vorzüge. Sie spenden Schatten, geben allerlei Moosen eine Heimat, gewähren Staaten Schutz vor Feinden, schirmen Siedler gegen ihre Nachbarn ab. Vor allem aber gibt es ohne sie keine Mauerblümchen. In der Tundra fühlte sich nicht mal ein Veilchen klein. Ich rede, wie Sie unschwer bemerkt haben, vom Buchmarkt. Continue reading »

Feb 242015
 

Menschen, die mit dem Unterleib denken, gibt es gar nicht so wenige. Da ist nämlich kein günstigerer Nährboden für politische Irrationalität als das Gefühl der Ohnmacht, und ohnmächtig samma alle. Deshalb sind es so viele – und so viele aus der weiß-nichts-kann-nichts-Abteilung. Muss man sich mit ihnen beschäftigen? Nun sicher, es gibt Wichtigeres. Das Weltall zum Beispiel. Doch wenn sie auch nichts zu sagen haben, sie haben dauernd das Wort, und wer redet, hat Macht. Das Problem dabei ist, dass man sich im Verfolgen von Unterleibsgedanken stets vorkommt, als schnüffle man an einer Unterhose. Man fühlt sich wie ein Belästiger, also belästigt. Continue reading »

Nov 092014
 

Das geläufige Argument manifester Antizionisten, daß die Juden infolge der Diaspora kein Volk seien und daher nie einen Anspruch auf ein eigenes Land hätten erheben dürfen, sollte in der nachvollziehbaren Absicht, diesem zweckgebunden und willkürlichen Diktum etwas entgegenzusetzen, nicht reproduziert werden. Das geschieht aber dort, wo vom erfundenen Volk der Palästinenser geredet wird. Richtig ist, darauf hinzuweisen, daß die Verwandlung der Araber in die Palästinenser Ende der sechziger Jahre ein doppelter Propagandakniff Arafats war. Erstens sollte die arabische Bevölkerungsgruppe mit der Region verschmolzen werden, indem nicht mehr zwischen Juden und Arabern in Palästina, sondern zwischen Palästinensern und Juden in Palästina unterschieden wurde. Bereits im Namen also wurde der Vorrang beim Anspruch aufs Land kenntlich gemacht. Zweitens ging es darum, die palästinensischen Araber östlich des Jordans, die ihren eigenen Nationalstaat schon 1923 (und zwar fast 80% des ursprünglichen Mandatsgebietes) erhalten hatten, von denen westlich des Jordans zu trennen, weil sich natürlich Terror im Namen eines Volks, das nach wie vor Continue reading »

Okt 012014
 

 

Daniel Rapoport hat mich für den Lobster Award hemmungslos renominiert. Er zuckt, und ich muß.

Die Fragen

1: Kurzbegründungen: Kaffee oder Tee? Meer oder Berge? Dostojewskij oder Tolstoi? Beatles oder Stones? Welches ist Dein liebster Beatle?

Kaffee – Meer – Tolstoi – Beatles – George Harrison.

Kurzbegründungen: Kaffee zwischen 7 & 15, Tee zwischen 15 & 22. Also 8:7 für Kaffee. – Meer riecht und klingt schöner, Bewegung überdies schlägt Stillstand, und im Odenwald habe ich Berge genug. Norwegen hat allerdings beides, weshalb Slartibartfast seinen Preis ja auch vollkommen zu Recht bekommen hat. – Dostojewski ist raffinierter, tiefer und Continue reading »

Aug 052014
 

Es war der 16. Februar 2011. Koscielny fängt einen diagonalen Paß von Messi an der Strafraumgrenze ab, legt ihn, während Barca nicht energisch genug auf den Umschaltmoment reagiert, nach außen auf Bendtner, der, für Walcott ins Spiel gekommen, weit zurückgezogen steht. Bendtner bringt sich mit wenigen Schritten zu den zentral stehenden Wilshere und Fabregas in eine Dreiecksstellung, die vier kompakt stehende Barcaspieler einschließt, die nun umspielt werden können, gibt einen schnellen horizontalen Paß auf Wilshere, der den Ball mit einer Berührung noch schneller und vertikal auf Fabregas weiterleitet. Der nimmt den Ball in einer Bewegung um 180° mit und spielt einen flachen Paß nach vorn auf den 30 bis 40 Meter vorausgelaufenen Nasri. Die Abwehr Barcelonas ist in nicht mehr als fünf Sekunden überbrückt, ohne daß der Ball den Boden verlassen hätte; lediglich eine Dreiereihe kann Nasri folgen, der keine Mühe hat, in deren Rücken zu spielen, wo Ashavin heranläuft und mit einem ansehnlich gezirkelten Schuß zum 2:1 abschließt. Solche Szenen Continue reading »

Jul 302014
 

Niemand ist friedlich. Man kann im Sittlichen nichts tun, erwägen oder unterlassen, das nicht ihm, ihm oder dem da auf die Nerven fallen wird. Schon dadurch, daß wir sind, beleidigen wir, weil jede Haltung, die man irgend einnehmen kann, ihr Gegenteil und damit ihre unversöhnlichen Feinde hat. Den wahrhaft Durchgeknallten erkennt man daran, daß er im besten Glauben betont, wie friedlich er ist. Er tut das unablässig und besonders gern vor dem je nächsten Wutausbruch. Das zwanghafte Versichern, bei all dem Gekeile dennoch den Frieden im Herzen zu tragen, hat was von prospektiver Selbstentlastung. Man betont, wie man wäre, wenn nichts wäre. Man ist der friedlichste Mensch der Welt, solange man außer der Welt ist. Continue reading »

Jul 252014
 

 

erstes Kapitel aus: Odysseus wär zu Haus geblieben. Schutzschrift mit Anhang, Berlin (Aurora) 2015. – Erstmals öffentlich gelesen am 15. Juli 2014 in Bonn, Referat für Politische Bildung, Asta der Uni Bonn.

 

Ein Hessel Buntes

Die Welt in Steno

Thales im Brunnen

The Wizard in Front of the Curtain

Die Sehnsucht des Seemanns

Ein Beitrag zur unkritischen Theorie

24. Gesang

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Jun 082014
 

 

Ich werde lieber miß als gar nicht verstanden. Also schulde ich Cyrano Dank für seine klugen Ausführungen, denen ich selbst dort, wo ich anderer Meinung bin, gar nicht widersprechen möchte, weil das Nebeneinanderhalten verschiedener Zugriffe auf dieselben Gegenstände ebenso Erkenntnis befördert wie die Zugriffe selbst. Es ist dabei nichtmal nötig, die verschiedenen Zugriffe zu sehr in einen Clinch zu schicken, zumal ja ein jeder Zugriff zunächst und vor allem aus sich selbst heraus verstanden werden muß. Es wird also furchtbar langweilig werden, weil ich an Einwänden gegen Cyranos Einwände wirklich nur solche habe, bei denen es um die Klärung von Mißverständnissen geht. Ich rate jedem, dessen Zeit kostbar und dessen Seele schönerfühlend ist, diesen Tab umgehend zu schließen. Besser als jetzt wird es nicht mehr. Continue reading »

Mai 012014
 

Wer die Bezeichnung »Tag der Arbeit« verwendet, sollte wissen, was er da tut. Der 1. Mai wurde Ende des 19. Jahrhunderts, ausgehend von Generalstreiks in den USA, als »Kampftag der Arbeiterklasse« begründet. Damit war gesagt, dass es nicht um den abstrakten Begriff der Arbeit geht, dem ja schon Marx immerhin den historisch-konkreten Begriff der Produktion entgegengesetzt hat, sondern um die Menschen, die dahinter stehen. Um deren Bedürfnisse und Rechte. Etwa das auf Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf 8 Stunden und angemessene Bezahlung. Nicht um die Arbeit also, sondern um den Schutz des Menschen vor der Arbeit. Continue reading »

Nov 072013
 

Kain war Ackermann, Abel Viehzüchter. Der älteste Klassenkampf der Welt, den die Bibel da so lakonisch am Anfang ihrer Menschheitsgeschichte darstellt. Und Kain, der Ackermann, gewinnt. Der Seßhafte besiegt den Nomaden, wie es geschichtlich ja tatsächlich passiert ist. Zugleich tritt mit dem verfeindeten Brüderpaar die Menschheit von der Familie zur Gesellschaft über. Wo die Liebe nicht mehr den unmittelbaren Zusammenhalt ausmacht, sondern der Einzelne dem Einzelnen als Fremder gegenübertritt und notwendig Feindschaft entsteht. Bereits die Kinder der Liebe zwischen Adam und Eva, die beiden Brüder, die ausziehen und eigene Familien gründen müssen, sind einander feind. Und Kain, der feindselige, der neidische, ist der, der siegt. Er, nicht Abel, zeugt die Nachkommen. Wir sind Kains Kinder, nicht Abels. Das ist grausam, archaisch und nur eine Handbreite über der Hoffnungslosigkeit. Gefrorene Geschichte. Realismus eben. Continue reading »

Apr 302013
 

 

Das Trauerspiel

Der Gegenstand ist groß. Groß und weithin unbegriffen. Auch von denen, die er angeht. Was vorderhand wenig besagt, denn wann jemals hätte irgendein Volk auch nur irgendwas begriffen? Es geht um die Abschaffung der Sklaverei in Nordamerika, und um die Art, wie sie vonstatten ging. Die Vereinigten Staaten haben eine kurze und schwungvolle Geschichte, und man muß auf diese beiden Eigenschaften das gleiche Gewicht legen, auch weil heute von diesem Schwung nur noch wenig zu erkennen ist. Ich zögere, das Wort Konservatismus zu verwenden. Das ist es nicht ganz. Es ist eher eine Continue reading »

Jan 112013
 

 

Zur Struktur des Ideal-Begriffs von Peter Hacks1

 

Ich bin die Saat im Winter, die im Dunkel wohnet.
Ihr kommt wohl noch dahinter, daß Erwartung lohnet.
Und lieg ich tief verborgen, bleib ich nicht verschwunden.
Der hoffen kann auf morgen, hat mich schon gefunden.

aus »Numa«

 

Mein Vortrag heißt »Die Landkarte und die Landschaft«. Ich hätte ihn aber auch gut »Wenn der Herrgott net will, nutzt es goar nix« oder »Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk« nennen können. Es liefe aufs gleiche hinaus: auf das Verhältnis, das das menschliche Wollen zu den Bedingungen, unter denen es umgesetzt werden muß, besitzt, auf den alten Kampf zwischen Ideal und Wirklichkeit. Es gibt zu diesem Kampf seit je drei Meinungen: das Ideal habe recht, die Wirklichkeit habe recht, beide haben unrecht. Die letzte ist die, auf die es ankommt. So zumindest Continue reading »

  1. Vortrag, gehalten am 3. November 2012 im Berliner Magnus-Haus; abgedruckt in: Gute Leute sind überall gut. Fünfte wissenschaftliche Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft, hrsg. v. Kai Köhler, Berlin 2013. []
Nov 292012
 

Kriegszeit im Nahen Osten ist Zeit für Gefühle. Hier fast noch mehr als daselbst. Europa ist ein Irrenhaus, worin man den Nahostkonflikt nicht einfach behandelt, sondern an ihm nachweist, wer man ist. Worin man sich nicht einfach den Kopf über seine Lösung zerbricht, sondern ihn darin als Gradmesser des Weltfriedens gleichsam neu erfindet. Das ist so krank, wie es sich anhört. Wofern nicht bereits das übermäßige Interesse an diesem Komplex verdächtig sein sollte, mag doch wenigstens die Zwanghaftigkeit, mit der die Bekenntnisse vorgebracht werden, nachdenklich machen. Bekenntnisse kosten, anders als Argumente, gar nichts. Was keinen Preis hat, hat vermutlich auch keinen Wert. Die populärste Form, Israel und seine Lage zu kommentieren, ist das Bekenntnis. Es fällt, zugegeben, einigermaßen schwer, zwischen IDF-Kitsch und Palästina-Folklore etwas Haltung zu bewahren. Das Ausstellen von Wimpeln und Symbolen ist – wie das Herumziehen in Gruppen – ein Zeichen intellektueller Unsicherheit, obgleich sich auch Brüder von der ausgeschlafenen Fraktion gelegentlich dazu hinreißen lassen, eine Fahne zu schwenken, und sei es nur – wie sie sich selbst versichernd einreden – zur Provokation. But stupid is as stupid does. Continue reading »

Aug 062012
 

Stellen Sie sich folgenden Irrsinn vor: Auf dem Weg zur Arbeit bemerken Sie an immer mehr Plätzen und Straßenecken große Bildschirme, die das TV-Programm des Senders RTL in die Öffentlichkeit übertragen. Die Bildschirme breiten sich aus und decken bald alle Straßen Ihrer Stadt ab, so daß Sie kaum noch eine Straße benutzen können, die Sie nicht zum RTL-Gucker macht. Irgendwann legt der Senat der Stadt fest, daß Sie als Bürger und unvermeidlicher Nutzer ihrer Straßen eine Gebühr an RTL zu entrichten haben, da Sie erweislich zum Publikum von RTL gehören.

100 wirkliche Taler, versichert Kant, sind um nichts mehr als 100 gedachte; ob sie existieren oder nicht, setzt ihrem Inhalt nichts hinzu. Ungern will ich Continue reading »

Mrz 102012
 

Monsieur: Die Versuchung, die Karlsbader Beschlüsse jedesmal mit dem Beiwort »die segensreichen« zu versehen, ist groß. Aber der Herausgeber hat natürlich neutral zu bleiben.

Madame: Wenn ich den Herrschern dieser Welt einen Rat erteilen sollte – aber mi froogt ja koaner –, dann diesen: Erlasse nie ein Gesetz, das Du nicht auch durchsetzen kannst.

Monsieur: Karlsbad war wirksam. Es hat Jahn kalt gestellt und Ernst Moritz Arndt auf Jahre zum Sozialfall gemacht. Und die Linken, die später darunter litten, waren auch meist Idioten. Continue reading »