Juli 312014
 

Er sitzt und spricht. Fernsehkritik

Der Todenhöfer Jürgen, beständiger Gast in deutschen Talkshows, weil man ja nicht nur Experten einladen kann, sondern auch einen braucht, der das Sentiment bedient und den Authentizitätsfimmel der Marke »Ich war selbst da, habe es mit eigenen Augen gesehen« (und wenn ich ein wenig übertreibe, dann nicht, um Sie zu manipulieren, sondern um den armen Menschen dort eine Hilfe zu sein), der reaktionäre Einpeitscher[1] also, der sich in jeder Sekunde seiner weltpolitischen Bedeutung bewusst und trotzdem immer bescheiden geblieben ist, hatte gestern bei Anne Will[2] einen Traum, wie Gandhi, oder war es Martin Luther King? Mandela? Pol Pot? Egal. 1,8 Millionen Menschen gehen friedlich zur Grenze, ohne Waffen, mit Fahnen, auf denen »Freiheit« steht.

Und was dann? Topfschlagen? Gruppensex? Gemeinsame Koranlektüre? Continue reading »

Juli 302014
 

Niemand ist friedlich. Man kann im Sittlichen nichts tun, erwägen oder unterlassen, das nicht ihm, ihm oder dem da auf die Nerven fallen wird. Schon dadurch, daß wir sind, beleidigen wir, weil jede Haltung, die man irgend einnehmen kann, ihr Gegenteil und damit ihre unversöhnlichen Feinde hat. Den wahrhaft Durchgeknallten erkennt man daran, daß er im besten Glauben betont, wie friedlich er ist. Er tut das unablässig und besonders gern vor dem je nächsten Wutausbruch. Das zwanghafte Versichern, bei all dem Gekeile dennoch den Frieden im Herzen zu tragen, hat was von prospektiver Selbstentlastung. Man betont, wie man wäre, wenn nichts wäre. Man ist der friedlichste Mensch der Welt, solange man außer der Welt ist. Continue reading »

Juli 252014
 

 

erstes Kapitel aus: Odysseus wär zu Haus geblieben. Schutzschrift mit Anhang, Berlin (Aurora) 2015. – Erstmals öffentlich gelesen am 15. Juli 2014 in Bonn, Referat für Politische Bildung, Asta der Uni Bonn.

 

Ein Hessel Buntes

Die Welt in Steno

Thales im Brunnen

The Wizard in Front of the Curtain

Die Sehnsucht des Seemanns

Ein Beitrag zur unkritischen Theorie

24. Gesang

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Juli 132014
 

Menschen, die aus der sicheren Distanz mitteleuropäischer Lebensumstände nicht mit Ratschlägen geizen, Israel Wege aufzuzeigen, wie es aus seinem Schlamassel wieder herauskommt, sind ja durchaus nicht nur ein Ärgernis. Manchmal sind sie sehr unterhaltsam. Wenn man über die Jahre verfolgt, wie sie bei jeder der zyklisch auftretenden Eskalationen um Gaza, dem Staat Israel nun doch das letzte Verständnis aufkündigen, ganz so, als hätten sie je welches aufgebracht, stellt sich ein ähnlicher Effekt ein wie bei der Lektüre des komischen Dialogs »Brokatjacken« von Max Goldt. Selbstgerechte Wutausbrüche, vorgetragen in einer Art Selbstgespräch mit der Rhetorik eines Goldfischs und dem dazu passenden Langzeitgedächtnis. Continue reading »

Juni 112014
 

Alle Sommer gerader Jahre habe ich viel durchzustehen. Mannschaften, die schlechten Fußball spielen und trotzdem gewinnen, WM-Songs, Reinhold Beckmann, vornehmlich aber jene nationale Penetranz, von der man allenthalben angesprungen, mitgerissen und ungefragt fraternisiert wird. Im sogenannten Partynationalismus kommen zwei Momente des Widerwärtigen zusammen. Einmal der schnöde Nationalismus, zum anderen das Volkstümliche, zwanghaft Gutgelaunte, das sommerliche Du. Dem Volksfest kann man fernbleiben, es macht nur Krach und Müll. Es ist ein bißchen anmaßend, aber es unterstellt keine übergreifende Eingemeindung. Es ist unpolitisch.

Das Fußballvolksfest ist mehr. Es gibt keine würdevolle Weise, eine Fahne zu tragen. Das Ausstellen nationaler Zeichen ist von jeher die Kennung derer, die, was sie nicht in sich haben, neben oder über sich suchen. Im Vereinsfußball bedeutet ein Symbol wenigstens nichts anderes als eben den Verein, zu dem man hält. Im nationalen Fußball Continue reading »

Juni 082014
 

 

Ich werde lieber miß als gar nicht verstanden. Also schulde ich Cyrano Dank für seine klugen Ausführungen, denen ich selbst dort, wo ich anderer Meinung bin, gar nicht widersprechen möchte, weil das Nebeneinanderhalten verschiedener Zugriffe auf dieselben Gegenstände ebenso Erkenntnis befördert wie die Zugriffe selbst. Es ist dabei nichtmal nötig, die verschiedenen Zugriffe zu sehr in einen Clinch zu schicken, zumal ja ein jeder Zugriff zunächst und vor allem aus sich selbst heraus verstanden werden muß. Es wird also furchtbar langweilig werden, weil ich an Einwänden gegen Cyranos Einwände wirklich nur solche habe, bei denen es um die Klärung von Mißverständnissen geht. Ich rate jedem, dessen Zeit kostbar und dessen Seele schönerfühlend ist, diesen Tab umgehend zu schließen. Besser als jetzt wird es nicht mehr. Continue reading »

Mai 012014
 

Wer die Bezeichnung »Tag der Arbeit« verwendet, sollte wissen, was er da tut. Der 1. Mai wurde Ende des 19. Jahrhunderts, ausgehend von Generalstreiks in den USA, als »Kampftag der Arbeiterklasse« begründet. Damit war gesagt, dass es nicht um den abstrakten Begriff der Arbeit geht, dem ja schon Marx immerhin den historisch-konkreten Begriff der Produktion entgegengesetzt hat, sondern um die Menschen, die dahinter stehen. Um deren Bedürfnisse und Rechte. Etwa das auf Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Begrenzung der täglichen Arbeitszeit auf 8 Stunden und angemessene Bezahlung. Nicht um die Arbeit also, sondern um den Schutz des Menschen vor der Arbeit. Continue reading »

Apr. 142014
 

Die Bundesregierung vermutet, daß die Unruhen in der Ostukraine von Moskau aus gesteuert werden. Umstandslos hat sie damit den Übergang von der ersten Trauerphase in die zweite geschafft. Wenn erst einmal klar ist, daß der Verlust nicht rückgängig zu machen ist (und der Verlust der Krim ist für das Deutsche Reich sicher der schmerzlichste seit 1945), beginnt die Suche nach dem Schuldigen, und der Vorzug einer solchen Suche ist, daß der Suchende darin so frei von Schuld wird wie der Gesuchte mit Schuld beladen. Die Unruhen in Kiew erscheinen dann nachgerade wie ein naturläufiger Vorgang, mit dem die deutsche Regierung weder konspirativ noch diplomatisch irgend etwas zu tun hatte. Die Unruhen in der Ostukraine hingegen konnten natürlich nur deswegen ins Reich der Tatsachen treten, weil sie von Moskau initiiert wurden.

Ich schließe in der Tat nicht aus, daß Regierung und große Teile des politisch-militärischen Establishments der Bundesrepublik ernsthaft an dieser Verdrängungsleistung laborieren und sie nicht bloß – was ja zumindest in technischer Hinsicht noch eine Art Anlaß für Respekt darböte – als Propaganda inszenieren. Das Bedürfnis, jeden Continue reading »

März 152014
 

Die ständische Subjektivität des Steuerzahlers

»Ich bin aber kein Sozialschmarotzer, ich habe fünf Millionen an soziale Einrichtungen gegeben, 50 Millionen Steuern gezahlt. Ich will damit nicht angeben, ich will nur reinen Tisch machen.«

Manche wollen so manches nicht und tun es dann doch. Ich zum Beispiel will über Uli Hoeneß nicht breit werden, und das wäre auch nicht nötig, ginge es nur um diesen Gerichtsprozess. Der ist durch, mit einem gerechten Urteil, gegen das es, da die Gesetzlage eindeutig ist, nichts vorzubringen gibt. Zudem darf man beruhigt sein, denn der Ausnahmezustand ist vorerst abgewendet. Continue reading »

Feb. 032014
 

Die Debatte um Markus Lanz, die mich schon (hier & hier) beschäftigt hat, ist ziemlich schnell zur Übersprungshandlung geraten. Es gab eine Chance, an ihr Bedeutendes abzuhandeln. Man hätte reden können über den vom Moderator zur Schau gestellten aggressiven Konformismus, der – wie weiland, als man die vaterländische Frage noch offen stellte – Sahra Wagenknecht ein Bekenntnis zu Europa abverlangte. Eine Auskunft ungefähr so sinnvoll wie: Ich bekenne mich zum Winter; und ganz offenkundig getragen von einer edel-simplen Auffassung des abendländischen Kulturerbes, das doch in Wahrheit Continue reading »

Nov. 072013
 

Kain war Ackermann, Abel Viehzüchter. Der älteste Klassenkampf der Welt, den die Bibel da so lakonisch am Anfang ihrer Menschheitsgeschichte darstellt. Und Kain, der Ackermann, gewinnt. Der Seßhafte besiegt den Nomaden, wie es geschichtlich ja tatsächlich passiert ist. Zugleich tritt mit dem verfeindeten Brüderpaar die Menschheit von der Familie zur Gesellschaft über. Wo die Liebe nicht mehr den unmittelbaren Zusammenhalt ausmacht, sondern der Einzelne dem Einzelnen als Fremder gegenübertritt und notwendig Feindschaft entsteht. Bereits die Kinder der Liebe zwischen Adam und Eva, die beiden Brüder, die ausziehen und eigene Familien gründen müssen, sind einander feind. Und Kain, der feindselige, der neidische, ist der, der siegt. Er, nicht Abel, zeugt die Nachkommen. Wir sind Kains Kinder, nicht Abels. Das ist grausam, archaisch und nur eine Handbreite über der Hoffnungslosigkeit. Gefrorene Geschichte. Realismus eben. Continue reading »

Sep. 252013
 

Juli Zeh, das Ich & die Wiederkehr des deutschen Imperialismus

»Wieso scheint das kaum einen zu interessieren?«, fragt anlässlich des NSA-Skandals die Frankfurter Rundschau eine Schriftstellerin namens Juli Zeh.[i]

Es ist doch gut, dass es Zeitungen gibt, die solche Fragen stellen, denn wahrscheinlich ist die NSA das am wenigsten behandelte Thema dieses Jahres – gleich nach dem Nahostkonflikt und der Bundestagswahl. Und es ist gut, dass es Menschen gibt, die sich der Beantwortung solcher Fragen stellen. Rauskriegen, was der Grund für einen vorliegenden Zustand ist, kann jeder Idiot. Die hohe Schule ist, nach den Gründen für Zustände zu fragen, die nicht vorliegen. Und was nun, Frau Zeh, ist der Grund, aus dem der NSA-Skandal keine Sau aufregt? Continue reading »

Aug. 102013
 

Georg Diez begründet eine gute Entscheidung mit einem weniger guten Text. Ich hatte Mühe, wach zu bleiben; zudem ist seine Prämisse erkennbar falsch:

»Denn was sollen Wahlen in einem System, das nur noch als Schrumpfform der Demokratie zu erkennen ist?«

Jede Wahl, jede Form demokratischen Betriebs ist in sich paradox und läuft zwingend auf die eigene Auflösung hinzu. Und das nicht nur dort, wo es an hervorragenden Politikern fehlt, sondern gerade auch in den scheinbaren Sternstunden der Demokratie. Man liest Thukydides und sieht, daß Perikles der erste Bonapartist der Weltgeschichte gewesen ist. Und genau, weil er das war, lief der Laden. Die Demokratie muß sich Continue reading »

Juli 042013
 

Die Romantik, jenes wildwuchernde Gewächs, das das Denken befällt und einen Zustand scheinbarer Aktivität bewirkt, der zu nichts führt und dennoch schrecklich anstrengend ist – nicht fruchtbar, aber furchtbar –, diese Romantik hat viele Gesichter. Sie gehört nicht einer politischen Richtung allein, sie hat an allen teil. (An manchen ist sie die Hauptsache, bei anderen unvermeidliche Begleiterscheinung.) Es gibt nie nur eine romantische Antwort auf die Weltlage.

Der Romantiker liebt es, sich vorzustellen, er sei der Gute, und da er – wie auch sonst keiner auf der Welt – nicht durchweg gut sein kann, braucht er konsensfähige Negativobjekte, gegen die er sich erhaben machen kann. Wer immer es sei: Banker, Sozialschmarotzer, Umweltschützer, Israel, USA, China, die GEMA, das staatliche TV, Dieter Graumann, Margot Käßmann, kriminelle Jugendliche, Natascha Kampusch oder oder oder.

Die NSA ist eine Organisation, an der nichts auszusetzen ist. Sie macht einen ordentlichen Job. Ich billige Continue reading »

Juni 182013
 

Sie ist die Sahra Wagenknecht der Springerjugend. Eine als Stil-Ikone gehandelte Durchschnittspropagandistin, die den Jargon der ihr übergeordneten Bewegung flüssig genug beherrscht, um deren Wortführerin zu sein. Doch weil sie einmal so fleißig war, eine geistig verwirrte Frau zu stalken, deren Auskommen auf der Lebenslüge beruht, sie sei Lyrikerin, darf sie jetzt regelmäßig auf Broders Toilette publizieren.

Man lese ruhig einmal ihre Texte. So klingt es, wenn Ambitioniertheit auf Unfähigkeit trifft. Das sprachliche Unvermögen (»meine Irritation wurzelt eine Ebene tiefer« usw.) sei geschenkt, da nun wirklich niemand in dieser Hinsicht etwas von ihr erwartet. Erklärlich immerhin auch die Abwesenheit von wenigstens etwas Continue reading »