Mai 302014
 

Elsässer, glaubt man Elsässer, hat vor dem Münchner Landgericht gegen Jutta Ditfurths Behauptung, er sei ein Antisemit, eine Klage durchgesetzt. Tatsächlich ist, was er erreicht hat, eine einstweilige Verfügung; der eigentliche Prozeß steht noch aus, was Elsässer nicht daran hindert, sich als Sieger zu präsentieren.1 Damit, so fügt er hinzu, sei jeder gewarnt, der es Jutta Ditfurth gleichzutun gedenke. Es ist also ratsam, auf die Behauptung zu verzichten, daß Elsässer ein Antisemit sei. Woraus allerdings nicht folgt, daß man einfach das Gegenteil behaupten müsse. Auch das wäre ja eine Unterstellung, die von einem Gericht geprüft werden könnte und die man also nicht leichtfertig in die Welt blasen sollte. Ungern stünde man Continue reading »

  1. »Elsässer siegt mit Verleumdungsklage gegen Ditfurth«, Meldung vom 28. Mai auf Elsässers Homepage []
März 152014
 

Die ständische Subjektivität des Steuerzahlers

»Ich bin aber kein Sozialschmarotzer, ich habe fünf Millionen an soziale Einrichtungen gegeben, 50 Millionen Steuern gezahlt. Ich will damit nicht angeben, ich will nur reinen Tisch machen.«

Manche wollen so manches nicht und tun es dann doch. Ich zum Beispiel will über Uli Hoeneß nicht breit werden, und das wäre auch nicht nötig, ginge es nur um diesen Gerichtsprozess. Der ist durch, mit einem gerechten Urteil, gegen das es, da die Gesetzlage eindeutig ist, nichts vorzubringen gibt. Zudem darf man beruhigt sein, denn der Ausnahmezustand ist vorerst abgewendet. Continue reading »

Feb. 172014
 

Da nun zu allem Überfluß auch noch das nächste Sarrazin-Buch dräut, in dem sich der Autor dem linken Meinungskartell widmet und in einer breit beworbenen und mit Sicherheit medienpräsenten Erstauflage von 100.000 Exemplaren darüber ausläßt, daß man in Deutschland seine Meinung nicht sagen darf, ist die Gelegenheit für eine kleine Analogie schon aus Gründen der Selbstverteidigung ergreifenswert. Selbstverteidigung gegen einen Politclown, der sich als »Querdenker« anpreisen läßt, »der sich nicht scheut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen«, und Sätze schreibt wie: »Wer bestimmt, was gesagt werden darf – und worüber geschwiegen werden muss?«

Der notorische Provokateur, der zum Medienbetrieb gehört wie der verhaltensgestörte Kristalltrinker zur Neuköllner Eckkneipe, ist für gewöhnlich bauernschlau. Er ahnt, was er tut, könnte es aber nicht auf den Begriff bringen. Er ist kein Meisterdenker, besitzt dafür jedoch instinktsicher eine Art Erfahrungswissen. Daß er selbst Continue reading »

Feb. 032014
 

Die Debatte um Markus Lanz, die mich schon (hier & hier) beschäftigt hat, ist ziemlich schnell zur Übersprungshandlung geraten. Es gab eine Chance, an ihr Bedeutendes abzuhandeln. Man hätte reden können über den vom Moderator zur Schau gestellten aggressiven Konformismus, der – wie weiland, als man die vaterländische Frage noch offen stellte – Sahra Wagenknecht ein Bekenntnis zu Europa abverlangte. Eine Auskunft ungefähr so sinnvoll wie: Ich bekenne mich zum Winter; und ganz offenkundig getragen von einer edel-simplen Auffassung des abendländischen Kulturerbes, das doch in Wahrheit Continue reading »

Jan. 312014
 

Man weiß, daß die Talsohle einer Debatte erreicht ist, wenn Josef Joffe sich an ihr beteiligt. Dieser arme, alte und dennoch stets ambitionierte Mann, dessen Texten anzumerken ist, daß er mit jeder Formulierung gekämpft hat, liegt immer falsch, selbst dann, wenn er, wie weiland in der Angelegenheit um Grass, versehentlich auf der richtigen Seite steht. Aber meist steht er auf der falschen Seite, weil er ein Drei-Groschen-Junge des bundesdeutschen Spätkapitalismus ist, der die Drei-Groschen-Märchen dieser Gesellschaft tatsächlich glaubt. Die dadurch entstehende Kluft zwischen ihm (Joffe) und den Tatsachen muß logischerweise überbrückt werden, und da Josef Joffe nie was einfällt, fallen ihm meistens doch die Nazis ein. Continue reading »

Sep. 252013
 

Juli Zeh, das Ich & die Wiederkehr des deutschen Imperialismus

»Wieso scheint das kaum einen zu interessieren?«, fragt anlässlich des NSA-Skandals die Frankfurter Rundschau eine Schriftstellerin namens Juli Zeh.[i]

Es ist doch gut, dass es Zeitungen gibt, die solche Fragen stellen, denn wahrscheinlich ist die NSA das am wenigsten behandelte Thema dieses Jahres – gleich nach dem Nahostkonflikt und der Bundestagswahl. Und es ist gut, dass es Menschen gibt, die sich der Beantwortung solcher Fragen stellen. Rauskriegen, was der Grund für einen vorliegenden Zustand ist, kann jeder Idiot. Die hohe Schule ist, nach den Gründen für Zustände zu fragen, die nicht vorliegen. Und was nun, Frau Zeh, ist der Grund, aus dem der NSA-Skandal keine Sau aufregt? Continue reading »

Juli 042013
 

Die Romantik, jenes wildwuchernde Gewächs, das das Denken befällt und einen Zustand scheinbarer Aktivität bewirkt, der zu nichts führt und dennoch schrecklich anstrengend ist – nicht fruchtbar, aber furchtbar –, diese Romantik hat viele Gesichter. Sie gehört nicht einer politischen Richtung allein, sie hat an allen teil. (An manchen ist sie die Hauptsache, bei anderen unvermeidliche Begleiterscheinung.) Es gibt nie nur eine romantische Antwort auf die Weltlage.

Der Romantiker liebt es, sich vorzustellen, er sei der Gute, und da er – wie auch sonst keiner auf der Welt – nicht durchweg gut sein kann, braucht er konsensfähige Negativobjekte, gegen die er sich erhaben machen kann. Wer immer es sei: Banker, Sozialschmarotzer, Umweltschützer, Israel, USA, China, die GEMA, das staatliche TV, Dieter Graumann, Margot Käßmann, kriminelle Jugendliche, Natascha Kampusch oder oder oder.

Die NSA ist eine Organisation, an der nichts auszusetzen ist. Sie macht einen ordentlichen Job. Ich billige Continue reading »

Apr. 102013
 

Indeed, Alan Posener, she was a great revolutionary. A great counter revolutionary.

Dumm an Facebook ist, daß man immer viel mehr mitbekommt, als man mitbekommen will. Es war zu erwarten, daß die Fellows der neokonservativ-neoliberal-neorechten Neoneoneo-Bewegung im Fall Thatcher ganz besonders ihre Chance wittern, das zu tun, was sie immer tun wollen: sich mutig gegen den (wenigstens in ihren Köpfen bestehenden) mächtigen Konsens der Unmächtigen stellen, im Gewand der Rebellen das sagen, was ohnehin dauernd gesagt wird, ohne daß es den geringsten Mut erfordert, da es die etablierten Verhältnisse nicht angreift, sondern stützt, und niemand befürchten muß aus derartigen Rebellionshandlungen in irgendwelche Nachteile zu geraten. Es war also zu erwarten, daß sie sich tief vor Maggies Lebensleistung verbeugen und sich, Wutbürger von oben, die sie einmal sind, entrüstet über jeden Witz zeigen werden, der über den Tod dieser bösartigen alten Frau gemacht wird, die ganz unabhängig von dem, was der Kapitalismus ohnehin schon anrichtet, verantwortlich ist für einen beispiellosen Prozeß der Verarmung, Isolierung und Dämonisierung nicht unbeträchtlicher Teile der britischen Gesellschaft.

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Nov. 292012
 

Kriegszeit im Nahen Osten ist Zeit für Gefühle. Hier fast noch mehr als daselbst. Europa ist ein Irrenhaus, worin man den Nahostkonflikt nicht einfach behandelt, sondern an ihm nachweist, wer man ist. Worin man sich nicht einfach den Kopf über seine Lösung zerbricht, sondern ihn darin als Gradmesser des Weltfriedens gleichsam neu erfindet. Das ist so krank, wie es sich anhört. Wofern nicht bereits das übermäßige Interesse an diesem Komplex verdächtig sein sollte, mag doch wenigstens die Zwanghaftigkeit, mit der die Bekenntnisse vorgebracht werden, nachdenklich machen. Bekenntnisse kosten, anders als Argumente, gar nichts. Was keinen Preis hat, hat vermutlich auch keinen Wert. Die populärste Form, Israel und seine Lage zu kommentieren, ist das Bekenntnis. Es fällt, zugegeben, einigermaßen schwer, zwischen IDF-Kitsch und Palästina-Folklore etwas Haltung zu bewahren. Das Ausstellen von Wimpeln und Symbolen ist – wie das Herumziehen in Gruppen – ein Zeichen intellektueller Unsicherheit, obgleich sich auch Brüder von der ausgeschlafenen Fraktion gelegentlich dazu hinreißen lassen, eine Fahne zu schwenken, und sei es nur – wie sie sich selbst versichernd einreden – zur Provokation. But stupid is as stupid does. Continue reading »

Apr. 192012
 

 

 Was Grass und seine Grassenheimer umtreibt

 

Wovon man nicht schweigen kann, darüber muß man sprechen.

Grass (Wittgenstein-Kritiker)

Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal: Fresse halten.

Wittgenstein (Grass-Kritiker)

 

Warum schweige ich?, fragt, heterologisch um Aufmerksamkeit heischend, der nie stille Schnauzbart des Literaten Grass. Man blickt die Zeitungsseite hinunter auf die folgenden 68 Zeilen und fragt sich unweigerlich: Ja, warum bloß schweigt er nicht? Aber so ist er, der Günter, der Grass; es reicht ihm nicht, die Menschheit seinen Absonderungen auszusetzen, er muß sie auch noch mit der Frage belästigen, warum er tut, was er offenkundig nicht tut. Andererseits scheinen viele ihren Geschmack daran zu finden. Die Pose des Tabubrechers, des einsamen Continue reading »

März 102012
 

Monsieur: Die Versuchung, die Karlsbader Beschlüsse jedesmal mit dem Beiwort »die segensreichen« zu versehen, ist groß. Aber der Herausgeber hat natürlich neutral zu bleiben.

Madame: Wenn ich den Herrschern dieser Welt einen Rat erteilen sollte – aber mi froogt ja koaner –, dann diesen: Erlasse nie ein Gesetz, das Du nicht auch durchsetzen kannst.

Monsieur: Karlsbad war wirksam. Es hat Jahn kalt gestellt und Ernst Moritz Arndt auf Jahre zum Sozialfall gemacht. Und die Linken, die später darunter litten, waren auch meist Idioten. Continue reading »

Sep. 062011
 

Als der Zensus bei mir klingelte, hatte ich ein Problem. Einfach reinlassen konnte ich ihn nicht, dafür müßte ich mich noch vor meinen Enkeln schämen. Am Zensus teilgenommen zu haben ist etwa ebenso peinlich wie ein Auftritt bei RTL2 oder ein Sitz auf der Anklagebank des IMG zu Nürnberg. Man versucht sowas zu vermeiden, denn es hängt einem lange nach. Ich konnte allerdings Continue reading »

Juli 112011
 

Antiimperialismus und Judenhass

 

»… laßt uns Kerzchen anzünden für die Verarschten und Ausgebluteten, die mit uns sonst nichts weiter zu tun haben, als daß wir sie erlösen wollen, laßt uns ganz viel davon reden, wie die ›westliche Kultur‹ die ›anderen Kulturen‹ unterdrückt und ausbeutet, die irgendwie unschuldiger, erdnaher, niedlicher sind, von so ein bißchen Klitorisrausschneiden, Steinigen und Frauen-in-den-Sack-Stecken mal abgesehen. Mit Sitting Bull, Geronimo und den Taliban gegen Thomas Jefferson, so stellen die sich das vor.«

Dietmar Dath

 

Von allen verrückten Schnurren mitteleuropäischer Nahostfolklore weiß ich eine verrückteste. Es kann keine fünf Jahre her sein – vielleicht war es kurz nach dem Krieg im Libanon –, da schrieb mir einer, mit dem ich bis dahin bekannt war, folgenden Gedankengang nieder: Ohne Antisemitismus könne Israel nicht existieren, weshalb er von den Zionisten nicht bekämpft, sondern nach Kräften gefördert werde; die Abschaffung des Staates Israel sei folglich die Voraussetzung für die Abschaffung des Antisemitismus. Der das schrieb, war offenkundig kein Logiker, aber auch kein Nazi. Er war ein Linker, zumindest im Selbstverständnis. Ich danke dem Vorfall eine wichtige Erkenntnis, auf die ich am Ende zurückkommen werde. Auf den Brief damals habe ich nicht mehr erwidert. Mit Antisemiten diskutiert man nicht, man bekämpft sie. Und wenn man, wie ich, das Kämpfen nicht gelernt hat, dann schreibt man ihnen dennoch nicht, sondern bestenfalls über sie. Continue reading »

Juni 232010
 

Hintergrund und Gehalt von Hegels Vorrede zu den »Grundlinien der Philosophie des Rechts«.1

I.

Als Hegel am 25. Juni 1820 an der Vorrede zu seinen »Grundlinien der Philosophie des Rechts« den letzten Federstrich tat, war Preußen noch in großer Aufregung. Ein paar Wochen zuvor, am 5. Mai, war Carl Ludwig Sand für die Ermordung des Dramatikers Kotzebue hingerichtet worden. Die Karlsbader Beschlüsse entfalteten ihre Wirksamkeit insbesondere in Preußen. An den »Grundlinien« hatte Hegel vermutlich seit Frühjahr 1819 gearbeitet; der erste Hinweis auf das Vorhaben findet sich in einem Brief an Niethammer vom 26. März 1819, drei Tage nach Continue reading »

  1. erschienen in: http://www.felix-bartels.de/wp-content/uploads/2010/06/Weltgeist-in-der-Defensive.pdf (Teil I) & http://www.felix-bartels.de/wp-content/uploads/2010/06/Zum-Begriff-befreit.pdf (Teil II). []
Mai 182010
 

Das Nachdenken über Sitten und Gebräuche hat immer zwei Seiten, eine theoretische, die danach fragt, woher dieser oder jener Brauch historisch und kulturell kommt, und eine praktische, auf der das Denken der Frage nachgeht, wie gut die Bräuche sind und wohin, wenn man sie ausübt oder nicht ausübt, unsere menschliche Entwicklung geht. Beinahe alle Fehlleistungen, die Kommentatoren bei der Beschäftigung mit sittlichen Fragen unterlaufen, rühren aus der ungleichen Verteilung des Denkens auf diese beiden Seiten. Die Frage nach der Welt, wie sie ist, und die Frage nach der Welt, wie sie sein soll, verhalten sich in aller Regel gegenläufig, und der gemeine Verstand liebt das Denken in Widersprüchen nicht. Er will es einfach und will es rein. Also entscheidet er auch bei der Beurteilung bestimmter Sitten nach seinen ohnehin vorhandenen Neigungen. Ein Brauch ist demnach entweder schlecht und somit durch keinerlei historische Betrachtung zu entschuldigen, oder aber historisch bedingt, und dann verbiete sich ein Werturteil von selbst. So sehr beide Zugriffe einander entgegenstehen, sie haben gemein, dass sie eine Erklärung immer gleich für eine Rechtfertigung halten. Continue reading »